
Nell & The Flaming Lips - Where the viaduct looms
Bella Union / PIASVÖ: 26.11.2021
The soft Billie teen
Es ist der märchenhafte Stoff, aus dem Teenagerträume und unglaubwürdige Filme gemacht werden: Die zwölfjährige Nell Smith besucht mit ihrem Vater mehrere Konzerte von The Flaming Lips, trägt dabei bevorzugt ein Papageienkostüm und steht immer in der ersten Reihe. Irgendwann wird Flaming-Lips-Mastermind Wayne Coyne auf das Mädchen aufmerksam, unterhält sich nach dem Gig mit der Familie und erfährt, dass Nell gerade damit anfängt, Musik zu machen. Coyne wird zu ihrem Mentor und bietet daraufhin an, gemeinsam eine Platte zu produzieren. Da Nell noch nicht so viel eigenes Material hat, schlägt er ein Album mit Coverversionen von Nick-Cave-Songs vor, und die Tatsache, dass Nell noch nie in ihrem Leben von der australischen Musiklegende gehört hat, macht die Idee für Coyne nur noch attraktiver. Mit "Where the viaduct looms" – der Titel stammt aus dem Text von Caves Düsterblues "Red right hand"– liegt nun das Ergebnis dieser Kollaboration vor und es ist fast so charmant wie die Geschichte, die zur Entstehung des Albums geführt hat.
Der bereits im Sommer veröffentlichte Opener "Girl in amber", der zu Caves emotional intensivsten Songs gehört und in dem die Trauer um seinen bei einem Unfall verstorbenen Sohn präsent ist, kommt in dieser verträumten Version einlullend schicksalsergeben daher, was Zeilen wie "If you want to bleed / Just bleed" nur um so verstörender wirken lässt. Sowohl im Sound als auch in der Wirkung ist "Girl in amber" damit bereits so etwas wie die Blaupause für das gesamte Album. Die inzwischen 14-Jährige macht hier aus den meist ruhigeren Stücken fast schon klassisch verhuschten Bedroom-Pop im Stile der frühen Billie Eilish und The Flaming Lips halten sich als Begleitband mit den für sie so typischen Experimenten und psychedelischen Ausflügen sehr zurück. Dadurch entsteht ein sehr rundes Album, das zwar die Spannung nicht über die gesamte Spielzeit halten kann, jedoch einige Perlen enthält.
In "The weeping song" ist Nells engelsgleich glockenhelle Stimme leicht verzerrt und mit starkem Echo versetzt, was die unheimliche und bedrohliche Atmosphäre des Originals noch verstärkt. "O children" lässt The Flaming Lips etwas von der Leine und setzt mit spannendem Drum-Pattern und fuzzy Gitarren einen gelungenen Kontrapunkt zu Nells sehr hohem Gesang. Das absolute Highlight ist jedoch "Red right hand", das dank des Vorspanns zu "Peaky Blinders" auch Fans historischer Gangsterserien, die nichts mit Nick Cave anzufangen wissen, kennen dürften. Nell zeigt (leider nur) hier eine ganz andere Facette und zischt und röhrt in deutlich tieferer Stimmlage derart cool über einem verschleppten Beat und den spinnerten Backgroundgesang von Wayne Coyne, dass man sich fast bei PJ Harvey oder Fiona Apple wähnt. Spätestens dieses Stück und die mit Hall und Autotune entkernte Ballade "The ship song" machen doch ziemlich Lust auf eine Fortsetzung der märchenhaften Geschichte mit eigenen Songs von Nell & The Flaming Lips.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The weeping song
- O children
- Red right hand
- The ship song
Tracklist
- Girl in amber
- Weeping song
- Into my arms
- O children
- The kindness of strangers
- No more shall we part
- Red right hand
- The ship song
- We know who you are
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dreckskerl
2021-12-23 22:54:01
Eine kindliche Stimme ist ja auch natürlich wenn die Sängerin 14 Jahre alt ist, ob es nun die Regler oder auch die Anstrengungen von Nell sind, die -wie zum Beispiel in "Red right hand"- ihre Stimme plötzlich tiefer und erwachsener klingen lassen, was den Rezensenten hier ja zu m.e. abwegigen Vergleichen zu P.J.Harvey und Fiona Apple greifen lässt,ist letztlich einerlei.
Du schreibst "lasziv", richtig, das Album hat einen klaren akustischen Lolitaeffekt.
Das ganze dann auch noch mit den Texten und Songs von Nick Cave, sorry Wayne, ich komm da nicht mit.
oldschool
2021-12-23 22:06:16
Ist im Grunde ein interessantes Projekt. Wie schon der Dreckskerl schreibt, sind die Arrangements wirklich gut gelungen. Aber auch mir erschließt sich die Wahl der "Gastsängerin" nicht. Ich hatte öfter sdas Gefühl, als wurde da an den Reglern viel rumgedreht, um Ihre zuweile kindliche Stimme lasziver klingen zu lassen.
Klaus
2021-12-23 16:23:54
Weiß nicht, hatte es gehört, aber ist mehr oder weniger an mir vorbei gezogen. Bei einigen Songs von Cave ist das ja schon im Original so, hier fehlte mir der Zugang. Ist auch schon paar Wochen her und seitdem vom Grundrauschen des "hören wir dutzende Alben von Jahreslisten nach" verdrängt worden.
dreckskerl
2021-12-23 16:20:31
Ich höre auch lieber das Original statt Scarlett, ich finde es aber nicht so deplatziert wie Nell singt Nick Cave.
Das ist wie ein veganer Sauerbraten, voll trendy aber eigentlich 'ne Scheißidee.
Warum magst du es nicht, Klaus?
Klaus
2021-12-23 16:14:54
Nick Cave Adaptionen sind momentan eh angesagt.
Der Schauspieler Charly Hübner hat gerade mit dem Ensemble Resonanz ein von der Idee her interessantes Album aufgenommen: Sie verbinden das klassische "Die Winterreise" mit einigen Nick-Cave-Songs. Link hier: https://www.ensembleresonanz.com/records/mercy-seat-winterreise
Gibts auch bei Spotify, aber da ist die Aufnahmequalität in meinen Augen, bzw. Ohren komplett furchtbar.
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- Nell & The Flaming Lips - Where the viaduct looms (11 Beiträge / Letzter am 23.12.2021 - 22:54 Uhr)