Aeon Station - Observatory

Sub Pop / Cargo
VÖ: 10.12.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Gereift und ins Herz getroffen

Um die Jahrtausendwende bildeten Kevin Whelan, sein Bruder Greg, Jerry MacDonald und Charles Bissell den Kopf der Band The Wrens aus New Jersey. Der Impulsive Kevin Whelan und der Perfektionist Bissell ergänzten sich und schufen wunderbaren Indierock, bis sich alles im Perfektionismus des Bandleaders Bissell verlor. Ihr letztes Werk, das gefeierte "The Meadowlands", erschien Ende 2005. Eine Trennung gab es nicht, neue Musik auch nicht. Über die Jahre wurde regelmäßig ein viertes Album ankündigt, das jedoch nie kam. Die Kommunikation zur Platte avancierte zum Running Gag, denn kurz vor einer angeblich bevorstehenden Veröffentlichung wurde entschieden, dass die Tracks noch nicht reif sind, dass man weiter daran arbeiten müsse. Beschreibt Whelan den Unterschied zwischen sich und Bissell, sagt er, dass er ein Typ sei, der gut mit dem dritten Versuch leben kann, Bissell hingegen brauche drei Jahre für die perfekte Vollendung.

Auch dem besonnensten Menschen muss irgendwann der Geduldsfaden reißen. So auch Whelan, der sich endschied, ohne Bissell, aber mit dem Rest von The Wrens und seiner Ehefrau die fünf Songs, die er für das vierte Album geschrieben hatte, zusammen mit fünf weiteren, neuen Tracks unter dem Namen Aeon Station zu veröffentlichen. Der Bandname bedeutet die Ewigkeit, das Äon, welche es brauchte, um neue Musik zu veröffentlichen. Ebenso symbolisiert das Cover die Bandgeschichte der Wrens. Eine Fotografie eines halbfertigen Gebäudes zeigt, dass auch Unabgeschlossenes und Unfertiges gezeigt werden kann. Die Musik hingegen ist alles andere als eine rohe und unfertige Skizze und überzeugt durch einen detailreichen Sound und Vielschichtigkeit.

Das Wechselspiel ruhiger und schnellerer Titel in absoluter Harmonie rauscht derart kurzweilig am Hörer vorbei, dass man sich erst einmal sammeln muss. Ist das vielleicht sogar etwas zu glatt nach so vielen Jahren der Arbeit? Die nächsten Durchgänge geben Aufschluss, dass dem nicht so ist und der Sound sich entfaltet. Nach dem charmant verträumten Auftakt bohren sich die Melodien von "Queens" oder "Everything at once" tief in den Gehörgang und bleiben lange dort, anderes wächst eher mit der Zeit und leise.

Der Albumtitel "Observatory" geht auf Whelans autistischen Sohn zurück, der wenig interagiert, aber die Welt beobachtet und so sei auch jeder Song auf der Platte eine Beobachtung einer Situation oder eines Gefühls. Jede Beobachtung von Whelan, die hier vorgetragen wird, überzeugt. So wird man langsam in den Bann gezogen vom sich immer weiter aufbauenden und am Ende überschwinglichen "Fade", welches das Überwinden von Unsicherheit thematisiert. Dazu begeistert einfacher, hymnischer Indierock mit Hits wie "Better love", aber auch oder vor allem die ruhigeren Stücke funktionieren wunderbar, wenn die Gitarren runtergefahren werden und Gesang und Text im Vordergrund stehen dürfen. Das verträumte und verspielte "Leaves" oder der überragende Closer "Alpine drive" zeigen, dass Aeon Station auch diese Seite der Klaviatur bestens beherrschen. Die Lyrics einiger Titel wirken oft nicht direkt, da sich diese oft unter einem dichten Sound verstecken. Das genaue Hinhören lohnt sich jedoch ungemein, wenn Whelan seine Beobachtungen über Ängste, Gemeinschaft und Vergänglichkeit teilt.

Der Perfektionismus seines Ex-Mitmusizierenden zwang Whelan, sich immer wieder zurückzuhalten, die Musik reifen zu lassen. Über die Erfahrungen der Jahre sammelte er Beobachtungen, um neue Geschichten erzählen zu können, so dass ein fantastisches Album entstanden ist. Auch Bissell hat nun unveröffentlichte Songs auf Halde. Ob er damit genauso begeistern können wird, oder ob immer wieder angekündigt, zurückgezogen und weiter an der Perfektion gefeilt wird, bleibt abzuwarten. Aeon Station beweisen, dass es sich lohnt, irgendwann einen Schlussstrich zu ziehen und die Welt an der Musik teilhaben zu lassen.

(Marian Krüger)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Fade
  • Everything at onces
  • Empty rooms
  • Alpine drive

Tracklist

  1. Hold on
  2. Leaves
  3. Fade
  4. Everything at once
  5. Move
  6. Queens
  7. Empty rooms
  8. Air
  9. Better love
  10. Alpine drive
Gesamtspielzeit: 38:54 min

Im Forum kommentieren

VelvetCell

2022-03-15 23:57:07

Das Album ist schon echt OK. Aber es ist eben nicht das nächste Wrens-Album, auch wenn man fast drauf reinfallen könnte. Am Ende fehlt "the magic dice".

Eliminator Jr.

2021-12-20 20:00:58

Drückt auch bei mir gerade all die richtigen Knöpfe. Sehr gutes Album mit riesigem What if-Schatten, doch natürlich lieber so als gar nicht. Den Zauber von The Meadowlands und Secaucus kann es nicht herauf beschwören, aber was kann das schon.
Erstgenanntes hat eh einen Platz im Olymp meiner Lieblingsalben und auch das Konzert der zugehörigen Tour 2006 in Hamburg gehört zu den grandiosesten Erinnerungen überhaupt.

Garmadon

2021-12-20 15:37:05

Auch mein erster Eindruck ist sehr gut.

Mit der Story dahinter habe ich mich erst jetzt beschäftigt und nach dem, was ich so gelesen habe, kann ich Kevin Whelan verstehen und bin froh, dass er sich zu dem Schritt entschieden hat...

Walenta

2021-12-15 16:30:30

"Ihr letztes Werk, das gefeierte "The Meadowlands", erschien Ende 2005."

In hiesigen Breitengraden - aber eigentlich am 09. September 2003. ;-)

VelvetCell

2021-12-12 22:13:16

Habe es mir ohne reinzuhören bestellt. Es wird so bald nichts Besseres geben, was einem neuen Wrens-Album nahe kommt.

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