Radiohead - Kid A mnesia

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 05.11.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

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Überwachung rund um die Uhr. 24/7. Der gläserne Bürger. Trojaner. Spyware. Ransom. Umweltkatastrophen. Flut. Dürre. Waldbrand. Viren. Inzidenz. Reproduktionszahl. Impfdesaster. Querdenker. QAnon. Reichsbürger. Desinformation. Propaganda. Hass. Soziale Medien. Nicht sozial. A pig. In a cage. On antibiotics. Radiohead lieferten in den vergangenen 25 Jahren schon häufiger den Soundtrack zur irgendwann unausweichlich auf uns zusteuernden Katastrophe. Im Vertonen der real werdenden Dystopie waren sie ja immer schon die Besten. Sowohl mit "OK computer" wie auch mit "Kid A" entwarfen die Briten die tollkühnsten Welten, in denen man sich nicht in Wirklichkeit aufhalten wollte. Ein Universum in Moll, eine Galaxie, die in sämtliche Puzzleteile zerfällt. Die fasziniert, aber dem Hörer gleichwohl die Kehle zuschnürt, die den Körper erschaudern lässt. Und das alles im selben Moment. Wohlklang und Unheil, keiner kann diese Kombination einem besser aufs Brot schmieren als Yorke, Greenwood und Co. Quasi zum zwanzigsten Geburtstag des visionären Album-Geschwisterpaars "Kid A" und "Amnesiac" erscheint das Ganze nun gekoppelt mit Bonusmaterial. Der Zeitpunkt könnte passender kaum sein.

Die beiden Alben dürften den meisten Plattentests.de-Lesern bekannt sein, daher in aller Kürze: "Kid A" ging in die Geschichtsbücher ein als jenes Album, das wie kaum ein zweites das noch junge Millennium in einen speziellen, von Electronica und Jazz inspirierten Artrock-Sound goß. Wer sich noch nie zu den elektronischen Beats und Yorkes Klagegesängen des sakrosankt schwebenden "Everything in its right place" im eigenen Gedankenpalast verlaufen hat, sollte dies dringend nachholen. Wie sich "The national anthem" gegen Ende komplett selbst zerlegt, ist auch über 20 Jahre nach Veröffentlichung des Songs immer noch eine Schau. Und die unendliche Melancholie, die durch die feinen Adern von "How to disappear completely" pumpt, lässt weiterhin erstaunt zurück. "This isn't happening." "Idioteque" zählt derweil zu den unfassbarsten Stücken dieser Platte, denn hier stimmt einfach alles: Dynamik, Atmosphäre, Emotion, verdichtet auf fünf atemberaubende Minuten.

Das wenige Monate später erschienene "Amnesiac" schlägt in dieselbe Kerbe: Die Stimmung ist ähnlich düster, experimentell und unwirklich. Über allem thront "Pyramid song": ein dunkel funkelndes Juwel mit unheilvoller Pianomelodie und prägnanten Drums, die dem nahezu körperlosen Stück letztlich Kontur und Schärfe verleihen. "Knives out" zählt fraglos ebenfalls zu den Highlights dieses Albums: Yorkes Stimme schraubt sich in exosphärische Höhen, während sich die Gitarrenmelodie unwiderstehlich ins Hirn fräst. Wenngleich "Amnesiac" also nicht ganz an die Qualität und Wirkmacht von "Kid A" herankommt, so hat es doch seine herausstechenden Momente. Für einige ist Platte auch der heimliche Star in der Diskografie der Band aus Oxford. Für andere die graue Maus im sonst so prickelnden Œuvre.

Interessant soll es dann für den geneigten Zuhörer ja bei den Extras werden, die hier auf der dritten Platte folgen. Legt man die hohen qualitativen Maßstäbe an, die die Veröffentlichung von "OK computer OKNOTOK 1997 2017" gesetzt hat, so kann man wohl nur zu dem Fazit kommen, dass "Kid A mnesia" nicht mithalten kann: Die zwölf Bonussongs kaprizieren sich größtenteils aufs Skizzenhafte und Ungefähre, wirken teilweise wie herausgeschnittene Outtakes, die eher den Charakter von Interludes aufweisen. Andere Nummern zeigen auf, wie das Ausgangsmaterial in alternativem Gewand klingt. So unterscheidet sich "Like spinning plates ('Why us?' version)" vom Ursprungsmaterial dadurch, dass es nackter, unmittelbarer, weniger spacig klingt. Ähnliches gilt für das gespenstisch anmutende "The morning bell (In the dark version)". Solche Einblicke und Erkenntnisse sind bestenfalls nett, aber weniger bewusstseinserweiternd, als man es sich möglicherweise gewünscht hat. Große Liebe gebührt Radiohead jedoch für die Veröffentlichung von "If you say the word": Dieser Song zeigt minutiös auf, was drin gewesen wäre. Irre und im Grunde purer Wahnsinn, dass Radiohead eine Komposition dieser Qualität bislang unter Verschluss gehalten hat. In einer Rezension des Magazins Spin wurde geschrieben, dass diese Nummer und insbesondere das dazugehörige Musikvideo an die dystopische Serie "Black mirror" erinnern. Im Jahr 2021 kommt uns dieser Song also: gerade recht.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Everything in its right place
  • How to disappear completely
  • Idioteque
  • Pyramid song
  • Knives out
  • If you say the word

Tracklist

  • CD 1
    1. Everything in its right place
    2. Kid A
    3. The national anthem
    4. How to disappear completely
    5. Treefingers
    6. Optimistic
    7. In limbo
    8. Idioteque
    9. Morning bell
    10. Motion picture soundtrack
    11. Untitled
  • CD 2
    1. Packt like sardines in a crushd tin box
    2. Pyramid song
    3. Pulk/Pull revolving doors
    4. You and whose army?
    5. I might be wrong
    6. Knives out
    7. Morning bell/Amnesiac
    8. Dollars and cents
    9. Hunting bears
    10. Like spinning plates
    11. Life in a glasshouse
  • CD 3
    1. Like spinning plates ('Why us?' version)
    2. Untitled v1
    3. Fog (Again again version)
    4. If you say the word
    5. Follow me around
    6. Pulk/Pull (True love waits version)
    7. Untitled v2
    8. The morning bell (In the dark version)
    9. Pyramid strings
    10. Alt. Fast track
    11. Untitled v3
    12. How to disappear into strings
Gesamtspielzeit: 125:05 min

Im Forum kommentieren

Huhn vom Hof

2022-03-01 19:50:06

Sind sie nicht im Inlay ganz winzig abgedruckt?

Da seh ich nur die Credits. Eine Extraseite mit den Tracklists der 3 CDs wäre schon schön gewesen :)

ijb

2022-03-01 17:59:00

Sind sie nicht im Inlay ganz winzig abgedruckt?
Ich glaube, der Gedanke ist/ war da, die Mysteriösität der Original-Veröffentlichung von "Kid A" beizubehalten. Daher eigentlich ganz nett gelungen. Ist ja auch zum sehr guten Preis. 3 CDs für 15-18 Euro.

Aber lieblos fand ich auch schon die Aufmachung von OKNOTOK, da dort keine Texte und dergleichen von der Original-Veröffentlichung übernommen wurden.

Huhn vom Hof

2022-03-01 17:31:01

Ich find ja die Aufmachung der CD-Version etwas lieblos. Vor allem stört mich dass die Tracklists nur auf den CDs abgedruckt sind, nicht im Inlay.

hidden

2021-12-11 09:51:32

10
10
5

macht 8,33, gerundet 8.

Annie

2021-12-11 06:03:14

Weil OKNOTOK zwei Klassen besser ist… Das Leben kann so einfach sein :}

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