Shun - Songs from the centrifuge
This Charming Man / CargoVÖ: 26.11.2021
Weiche Landung
Wann setzt eigentlich das musikalische Gedächtnis von Millennials ein? Machen wir uns nichts vor: höchstwahrscheinlich beim Nu Metal. Für in den Neunzigern Geborene sind Fred Durst und Chester Bennington mutmaßlich die großen Helden gewesen, die ewig untoten Nirvana schon eine Art Mythos, der im Nachhinein aufgearbeitet wurde, und alles von noch früher kennt man nur dank großen Geschwistern, dem Internet oder unzähliger Genre-Revivals. Spätachtziger- oder Frühneunziger-Shoegaze von der Insel hat aber nicht zuletzt durch diese Revivals wieder an Bedeutung gewonnen, und so haben es sich auch die Deutschen von Shun für ihr Debütalbum "Songs from the centrifuge" in ebendiesem Metier gemütlich gemacht. Ihr gediegenes Schuhstarren atmet jedoch weiterhin den Punk, so ähnlich wie die Ex-Hardcore-Kids von Title Fight besagte Melange zu "Hyperview"-Zeiten salonfähig gemacht haben. Musiksozialisation quer durch Zeit und Raum also.
Da dürfen die Gitarren auch mal in Powerchord-geschwängerte Riffs wie im Quasi-Titeltrack "Centrifuge" kippen, ohne dass der Kontrast allzu bemerkbar würde. Dick gerockt oder zappelig post-punkig getanzt wird hier jedoch bloß nebenbei, Shun verlassen sich in erster Linie aufs Schwofen, Dreampop aus dem Wörterbuch. Der Band gelingt es aber spielend, das im Selbststudium maximal verinnerlichte, für Nicht-Fans vielleicht ein bisschen altbackene Sound-Konzept mit dynamischen und eigenständigen Songs anzureichern. Die perlenden Melodie-Miniaturen von "Brief stills", glitzernde Achtziger-Wave-Anleihen wie im straighten "Rpm" und in "Rose petals" oder das in eineinhalb Minuten heiter weichgetrommelte "Suction cup" halten den Abwechslungsreichtum und die Spannungsbögen konsequent oben. Die Lead-Gitarre von "Midnight blue" bringt sämtliche Shun-Facetten sogar auf ihren gemeinsamen Nenner.
"To shun" bedeutet zwar "etwas meiden" oder "aus dem Weg gehen", aber ob die Vermutung stimmt, dass die Münsteraner ihren Bandnamen absichtlich wie einen japanischen Vornamen aussehen lassen? Eine Gitarrenspur in "Heavy reverie" nämlich ließe sich sogar ohne viel Fantasie als asiatisch-anmutend interpretieren. Deutschsprachige Samples erzählen zwischendurch Betroffenheitsfloskeln von Herbstregen und Schwermut wie im Poetry Slam, aber diese Tumblr-Lyrik passt zur Musik und nimmt in kleinen Dosen auch nicht Überhand, weswegen dies gar keinen Kritikpunkt darstellen soll. Shun haben nicht nur die nötige Expertise, sondern auch die stimmende Chemie. Von Katharsis-Monstern wie Nothing sind sie dabei mehrere Verzweiflungsschreie entfernt, packen ihre Hörer*innen aber trotzdem gerne am Schlafittchen, ohne dass diese Böses zu befürchten hätten. Denn anstatt alle aus den Socken zu hauen, betten Shun sie auf einem kuschligen Federbett aus warmen Reverb-Gitarren und einschmeichelnden Melodien. Beim nächsten Mal aber mehr als nur eine halbe Stunde liegen bleiben, bitte – es ist doch gerade so gemütlich!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Brief stills
- Rpm
- Midnight blue
Tracklist
- Brief stills
- Centrifuge
- Dreaming in color
- Heavy reverie
- Suction cup
- Rpm
- Midnight blue
- Rose petals
- Gold over
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Armin
2021-11-30 23:01:15- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Shun (4 Beiträge / Letzter am 28.03.2010 - 14:31 Uhr)