Robert Görl & DAF - Nur noch einer

Grönland / Rough Trade
VÖ: 26.11.2021
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Muskeln spielen

Eines von Gabi Delgados Lieblingswörtern lautete "Kraftfahrzeug". Ideale Antwort, wenn seine Landsleute den lange in Düsseldorf und Berlin ansässigen Spanier baten, mal etwas typisch Deutsches zu sagen. Und tatsächlich gab es zumindest in puncto teutonische Strenge kaum eine deutschere Band als die meist zu DAF abgekürzten Deutsch Amerikanische Freundschaft – als hätten sich Kraftwerk den Nacken rasiert und wären schon immer Punks gewesen. Delgado bellte im Befehlston und tanzte mit Sex, Liebe, Religion und Totalitarismus, Robert Görl steuerte maximal monotone Elektronik und Live-Schlagzeug bei. In den Achtzigern eine Sensation, die das Duo mit einem Comeback im identischen Soundgewand zu wiederholen gedachte. Nun liegt es vor, und trotzdem stimmt etwas nicht. Denn im März 2020 verstarb Gabi Delgado mit nur 61 Jahren.

Zuvor hatte Görl Instrumentals aus den Anfangstagen ausgegraben und sich nach dem plötzlichen Tod des Frontmannes dazu entschieden, das Album, dessen Titel irgendwo zwischen Trauerarbeit und Schulterzucken rangiert, auf eigene Faust einzuspielen. "Nur noch einer" ist also die erste DAF-Platte, auf welcher der gebürtige Münchener auch als Sänger und Texter auftritt – und trotz der unglücklichen Umstände nicht die Selbstdemontage, die Rezensent Ding 2003 auf "Fünfzehn neue DAF Lieder" diagnostizierte. 15 Lieder sind es auch hier, und eine gute Dreiviertelstunde lang darf man das, was heutzutage Oldschool-EBM heißt, wieder mit ungelenken Begriffen wie Muskel-Funk oder Sequenzer-Hardcore belegen. Da werden nicht nur von DAF geprägte Bands wie Nitzer Ebb, Pouppée Fabrikk und, ja doch schon irgendwie, Sleaford Mods ganz sentimental.

Görl tut's ihnen gleich und eröffnet "Nur noch einer" mit der aufgemotzten Skizze "Erste DAF Probe" – im frühachtziger Original nicht viel mehr als ein launiger Soundcheck in den Katakomben des legendären Altstadt-Clubs, der auch in "Ein Kind aus dem Ratinger Hof" zu wehmütigen Ehren kommt. "Holland Road" erinnert sich gar auf Englisch der Kellerwohnung, in der DAF in ihrer Londoner Zeit vom Zahnschmerz geplagt dem ersten Deal mit Mute Records entgegensiechten. Momente der Selbstreflexion und Albernheit, wegen derer sich niemand "Nur noch einer" vorrangig anhören wird. Es sind die ungerührt durchlaufenden Bässe und Synth-Linien, die fetten Drums und Crash-Becken sowie die atemlosen Slogans, die "Kunststoff" oder den ratternden Maschinen-Boogie "Wir sind wild" zu zwei nach wie vor unwiderstehlichen, astreinen Power-Tracks machen.

Und es geht noch massiver: Zum mächtigen Durchdreh-Stakkato von "Gedanken lesen" wäre auch "Der Mussolini" mit den lustigen Stiefeln im Stechschritt über die Tanzfläche gewalzt. Doch auch die (homo-)erotischen Dada-Lovesongs wie "Der Räuber und der Prinz" waren stets Bestandteil von DAF– hier verleiht "Das Pur Pur Rot" dem Kinderlied "Hänschen klein" eine verspielt-schwüle Dimension und verbreiten "Du bist so zart" und "Das Geschenk" entrückte Brachialromantik. Görls Stimme wirkt dabei mal verhuscht, mal einschmeichelnd und in der fiebrigen Überwachungs-Dystopie "Kein Ausweg" richtiggehend bedrohlich – ist aber auch nicht die stärkste Seite dieses Albums. Delgado wird es auf seiner Wolke dennoch wohlwollend zur Kenntnis nehmen, und einer kurzweiligen Ehrenrunde mit DAF steht nichts im Wege. Nicht einmal ein Krrraftfahrrrzeug.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Kunststoff
  • Wir sind wild
  • Gedanken lesen
  • Kein Ausweg

Tracklist

  1. Erste DAF Probe
  2. Im Schatten
  3. Kunststoff
  4. Wir sind wild
  5. Das Pur Pur Rot
  6. Gedanken lesen
  7. Du bist so zart
  8. Ein Kind aus dem Ratinger Hof
  9. Loslassen
  10. Neue Welt
  11. Kein Ausweg
  12. Es muss ans Licht
  13. Holland Road
  14. Das Geschenk
  15. Nur noch einer
Gesamtspielzeit: 49:35 min

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Sick

2021-11-28 01:27:00

Übel. Hätte er besser gelassen.

MM13

2021-11-26 15:23:10

man merkt dass die soundtapes irgendwo seit den 80ern übriggeblieben und verstaubt sind,am gesang fehlt irgendwo das aggresive von gabi,nicht(mehr)mein ding.

Armin

2021-11-24 20:40:30- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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