Alte Sau - Öl im Bauch

Major Label / Broken Silence
VÖ: 03.12.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Schaufel Schaufel Zack Zack

Wenige Sekunden sind erst vergangen, wir sind noch im Intro zu "Streifschuss", wo über wärmenden Orgelklängen eine norddeutsch-heisere Männerstimme von einem "gewaltigen Abgrund" raunt. Und von der "kaputten Seite Deiner Seele", aus der ominöse Dämpfe dringen, "und nicht aus der freundlich-offenen Notrufsäule / Neben der sich gerade / Ein Geborgenheitsventil schließt." "Irgendwas stimmt hier nicht", lautet gleich darauf die etwas ratlose Konklusion – und obwohl noch ganz am Anfang, sind wir mir nichts Dir nichts auch schon mittendrin. Mittendrin im nächsten Streich von Jens Rachut, der nachgelegt hat, nur rund ein halbes Jahr nachdem "Hitsignale", der Zweitling seiner Maulgruppe, den Titel Album der Woche einheimste. "Öl im Bauch" heißt der dritte Longplayer von Alte Sau, komponiert schon in Prä-Corona-Zeiten in einer Hütte inmitten der Wälder Finnlands, aufgenommen und produziert von Goldie Ted Gaier im Winter 2020/21 in Berlin. Ziemliche Frequenz, die der altgediente Punkveteran und Einsiedler an den Tag legt. Und auch eine beachtliche künstlerische Bandbreite. Zwar klingt jede Rachut-Band unverkennbar wie eine Rachut-Band, aber eben keine so wie die andere.

Die lyrisch-assoziativen Textwelten auf "Öl im Bauch" kreisen um Flora und Fauna, den Menschen und seine (Um-)Welt, um Wahnsinn und Vergänglichkeit. Mal ist alles ein großer Gaudi und mal von abgrundtiefer Traurigkeit – und oftmals auch beides gleichzeitig und zusammen. Geschichten, Bilder und Worte erzeugen Stimmungen, stoßen vor den Kopf, machen betroffen, nerven. Getragen wird das Rachutsche Gekrächze und Gebelle von einem Rhythmusgerüst aus Schlagzeug, Bass und Rebecca Oehms omnipräsentem Orgelspiel. Oehms und Bassist Thomas Wenzel, der unter anderem bei den Goldenen Zitronen und den Sternen spielte, steuern zudem einzelne Gesangsparts bei. "Es war so klar" und "Gestorben an" kommen sogar ganz ohne den alten Knurrer aus. Und wie schon auf dem selbstbetitelten Debütund dem Nachfolger "To be as livin'" bleiben die Gitarren auch dieses Mal wieder im Schrank, gut nach vorn geht ein Song wie "Diebesgut" aber dennoch. "Alter Stefan" treibt die Hektik dann zu ihrem Höhepunkt, im feinen Kontrast dazu wartet "4 Stühle" mit zurückgelehnten Easy-Listening-Klängen auf. Rachuts Stimme klingt hier brüchig und müde, gespannte Erwartung und erwartete Enttäuschung beäugen einander misstrauisch. "Vier Stühle lachen / kein Mensch ist da / die Beine wackeln / und brechen leicht."

Im Vergleich zu "Hitsignale" ist "Öl im Bauch" experimenteller, verspielter, aber auch einen Tick weniger dringlich. Das kann man als Nachteil auslegen, muss es aber nicht. Beweisen muss Rachut ohnehin keinem mehr was. Und tut es trotzdem unentwegt. Über ein schwedisches Möbelhaus oder gehäckselte Baumrinde können vielleicht viele singen, Songs wie "Ikeamond" und "Der Rindenmulch" schreibt so nur Jens Rachut. Wer hier aber Eskapismus vermutet, liegt voll daneben. Anknüpfungspunkte an die schlechte Gegenwart finden sich auch auf "Öl im Bauch" zuhauf. Mal eher verklausuliert, dann wieder überdeutlich. "Wo bleibt das Flirren / Auf den Weiden / Die kleinen Insekten / Kommen Sie zurück?/ Keine Antwort / Kein Versprechen / Bald ist Abpfiff / Das wird kein Sieg", heißt es etwa in "Es war so klar". Und bevor mit "Gestorben an" der hermetisch-unversöhnliche Schlussakkord erklingt, laufen Rachut und Mitmusiker*innen in "Kleines Tier" noch einmal zur Hochform auf. "Hohes Tier spricht über einen Neubeginn / Und die Nächsten von den Toten glauben ihm / Nur die Tiere und auch der Hase / Haben andere Sorgen / Und wissen aber auch genau / Die lügen immer weiter." Nie waren Resignation und Fatalismus in so bitter-poetische Worte verpackt. "Irgendwas stimmt hier nicht"? Das ist wohl so.

(Markus Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Streifschuss
  • Der Rindenmulch
  • 4 Stühle
  • Kleines Tier

Tracklist

  1. Streifschuss
  2. Öl im Bauch
  3. Der Rindenmulch
  4. Diebesgut
  5. Es war so klar
  6. 4 Stühle
  7. Gibst du mir was ab
  8. Kannibalen und Rauch
  9. Alter Stefan
  10. Ikeamond
  11. Winterhammel
  12. Kleines Tier
  13. Gestorben an
Gesamtspielzeit: 38:13 min

Im Forum kommentieren

Pole

2022-01-06 12:21:13

Finde leider, dass der Sound der Platte (habe die CD) nicht besonders gut ist. Stimmen viel zu laut meiner Meinung nach. Finde ich irgendwie komisch - wo doch Ted Gaier produziert hat?

Armin

2021-11-24 20:39:35- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Sloppy-Ray Hasselhoff

2021-10-22 22:43:18

17.01.22 AT-Wien, Chelsea

Vielleicht geh ich hin. Ich würd nie am Ring spielen, da nervt mich schon die Knautschzone. Bevor ich im Chelsea spiel, knack ich mir den Dreiraum in der Arena. Sind halt sieben Kilometer mit der Bahn samt Stromruder. Aber ne, im Chelsea nimma. Sound-Meltdown.

Autotomate

2021-10-22 22:31:48

ALTE SAU auf Tour
14.01.22 Karlsruhe, Alte Hackerei
15.01.22 CH-Basel, Humbug
17.01.22 AT-Wien, Chelsea
18.01.22 Nürnberg, K4
20.01.22 Dresden, Chemiefabrik
21.01.22 Darmstadt,Ötinger Villa
22.01.22 Hannover, Cafe Glocksee
27.01.22 Hamburg, Monkeys
28.01.22 Berlin, about blank

laut ox

AliBlaBla

2021-10-22 22:15:12

Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah, Danke! Da freu mich aber sehr, auch auf live, auf Thomas Wenzel am Bass..... wow!

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