Musa Dagh - Musa Dagh

Hayk / Cargo
VÖ: 26.11.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Super, Gruppe!

Wenn man von heute auf morgen unfreiwillig von einem Virus große Zeitfenster geschenkt bekommt, kann man stundenlang herumjammern, dass nichts geht. Oder auf die Regierung schimpfen und sich in einer Diktatur wähnen. Da speziell Letzteres aber bloß Idioten tun, wird man besser anderweitig kreativ. Oder haut einfach mal raus. Nach Freindz hat Aydo Abay mit Musa Dagh nun ein weiteres Projekt am Start, über das man fast eine unsägliche Bezeichnung wie "German Indie-Supergroup" schreiben mag. Aren Emirze, einst Harmful, ist der Initiator, Beatsteaks-Trommler Thomas Götz ist auch am Start. Abay singt, was nicht überrascht. Im Gegensatz zu Musa Dagh, denn zusammen steht die Formation neben dem markanten, mit historischem Fingerzeig versehenen Namen vor allem für eines: überraschend formidablen Lärm.

Das bloß zweiminütige "Coin bank" gibt grob die Richtung vor: Emirzes Gitarre fletscht räudig die ungeputzten Zähne, das Schlagzeug kantig und ungeschliffen, weil Musa Dagh statt einem High-Tech-Studio kurzerhand den Götzschen Rumpel-Keller als Spielwiese auswählten, die Songs quasi live aufnahmen. Und für dieses pure Unterfangen keinen Geringeren als Produzenten-Größe Moses Schneider verpflichten konnten, der an den Reglern drehte wie auch mit an den Songs feilte, quasi Mitglied des Projekts ist. Das folgende "Superhuman gift shop" legt dann unmissverständlich los: Die Riffs bohren sich einen Dreh tiefer in den Grund des Sounds, Abay singt sich langsam in erhitzten Gemütszustand, und trotz des recht eingängigen Refrains: Das Klanggewitter nimmt Form an.

Noise-Rock lautet die fett beschriftete Schublade, die man für dieses Debüt öffnen möchte, die aber kaum taugt, ohne die Scheuklappen zu öffnen. Denn auf "Musa Dagh" schmelzen mehrere Subgenres zu einem kantigen und dennoch vollends runden, Kopf und Körper gleichsam vereinnahmenden Ganzen zusammen. Exemplarisch sei die gleichsam brachiale wie einfühlsame, durchweg famose Single "Halo" genannt. Im Black-Metal-Brunnen ertränktes Riff-Gewitter, gepudert mit greller Post-Punk-Gitarre, hektisch polternde Drums, so erlebt der Song ein dramaturgisches Auf und Ab aus Krawallphasen und wunderbar melancholischem Refrain. Spannende Gitarrenmusik? Geht genau so.

"Less morphine" badet zu Beginn nur zu gern in einem dissonanten Rhythmus, dessen lärmige Begleitinstrumente absolut vereinnahmen, bis ab Minute zwei Bass und Gitarre um die Wette schreddern dürfen und Abay das Songfinale beinahe predigt: "We'll be destroyed", stellt er nüchtern fest. Keine guten Aussichten für die Menschheit. Immerhin trösten Musa Dagh umgehend: Das tolle "Plural me" gibt sich mit Pumpkins-Gitarre etwas zahmer, grüßt dafür mit fein atmosphärischen Nostalgie-Vibes aus den Neunzigern.

Hörbar Spaß daran, mit dem Sound der Millennium-Wende zu spielen, hat der Vierer auch in "I'm fine, thanks". Ob es The Offsprings "Give it to me baby"-Reminiszenz aus "Pretty fly (for a white guy)" gebraucht hat? Keiner der Macher würde das verneinen. Was exakt den Ansatz dieser äußerst unterhaltsamen Platte auf den Punkt bringt: Einfach mal machen, worauf man Bock hat. Schauen, was da wächst. Denn bevor das nachdenkliche "Kool aid" dann doch noch den Daumen reckt und der instrumentale Titeltrack zum Schluss nochmal schweres Knast-Kugel-Gewicht an die Platte hängt, lässt "Life fucked balance" gar ein gut gelauntes Riff in den wolkenverhangenen Himmel los. Wenn Gitarrenmusik so klingt wie diese Platte, ist nicht alles verloren. Und keiner muss ein Idiot sein.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Superhuman gift shop
  • Less morphine
  • Halo
  • Plural me

Tracklist

  1. Coin bank
  2. Superhuman gift shop
  3. Less morphine
  4. Halo
  5. Plural me
  6. I'm fine, thanks
  7. Like/Love
  8. Life fucked balance
  9. Kool aid
  10. Musa Dagh
Gesamtspielzeit: 32:11 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2024-12-01 11:51:28

Stimmt. Hab die Drummer-News auch mal in den "Neues Album"-Thread gepackt.

foe

2024-12-01 11:41:08

Und neuer Drummer: Martin 'Dog' Kessler (Abwärts).

foe

2024-12-01 11:37:13

Exakt das Gleiche wollte ich gerade posten.

The MACHINA of God

2024-12-01 11:33:05

Keine Ahnung wieso, aber grad kam noch ein Video zu "Life fucked balance":

The MACHINA of God

2024-10-22 14:02:23

Die erste Hälfte ballert so wunderbar. Und "Halo" und "Plural me" weiter absolute Giganten.

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