Springtime - Springtime

Joyful Noise / Cargo
VÖ: 05.11.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Six feet down under

Der gemeine Moseltaler reibt sich verwundert die Augen: Springtime, die Band, kommt doch aus dem Großraum Trier und machte vor etwa 15 Jahren Raubein-Punk im Spirit von Leatherface, nach deren Song sie sich benannt hatten. Was hat denn 2021 auf einmal ein Album auf der Rezensionsliste zu suchen? Kurz Google angeschmissen: Handelt es sich statt den Trierer Punks etwa um die gleichnamige österreichische Truppe, die 1978 auf dem "Concours Eurovision de la Chanson" den nicht nur aus heutiger Perspektive mindestens fragwürdigen Hexen-Hit "Mrs. Caroline Robinson" zum Besten gab? Weit gefehlt. Die hier vorliegenden Springtime aus Australien sind noch einzigartiger, handelt es sich doch um ein Projekt von Gareth Liddiard, bestens bekannt als Vokalist von Tropical Fuck Storm, der sich mit Drummer Jim White und Chris Abrahams von The Necks zusammengetan hat, um depressiven, teils noisigen Free Jazz zu spielen. "Supergroup!" spuckt der Rezensions-Buzzword-Finder aus. Die Band-Bio spricht zutreffenderweise von "sonic shamans". Das selbstbetitelte Debüt saugt einen derweil hinein in ein herausforderndes Hörerlebnis voller Spaß und Schönheit.

Mit Piano-Fundament und nicht ganz so leicht mitzuklatschenden Rhythmen sind Springtime in guter Gesellschaft von anderen Kunstliebhabern wie Benjamin Clementine, kippen über dieses Gerüst aber zwischenzeitlich fröhlich eine Schippe wirren Krachs New Yorkscher No-wave-Prägung. Große Stärke der Band ist das Singsprech-Storytelling, für dessen Zeilen der irische Dichter Ian Duhig Pate stand, bei dem es sich laut Aussage der Band auch um einen Onkel Liddiards handelt. Das todtraurige "The viaduct love suicide" macht seinem Namen alle Ehre und kann in seinem pechschwarzen Pathos gar mit Todesbaron Nick Cave mithalten. Die anschließende Geschichte der Alkoholikerin Jeanie bessert die Stimmung nicht wirklich und steuert mit ihrem Ambient-Charakter geradewegs in den Abgrund, in dem ein besoffenes, vom Teufel besessenes Saxophon wütet. Ein Höllenritt! Zutraulicher und melodiöser zeigt sich höchstens das irische Traditional "She moved through the fair" mit seinen perlenden Pianoklängen und Liddiards sehnsüchtigen Lamenti.

Wüste Noise-Schlieren mit entfesseltem Tremolo-Hebel tummeln sich wieder auf "The island", das in einer improvisierten Kakophonie sondergleichen endet. Durch den mitunter absichtlich schiefen und ins Manische abdriftenden Gesang wird die Musik in diesem Leben sowieso kein Easy Listening mehr. Großartigkeiten wie das famose "Will to power" haben trotzdem schon eher einen Indie-Rock-Flair, der Liddiards Gesang Raum einnehmen und mehr regulären Strukturen Folge leisten lässt. Das live aufgenommene Will-Oldham-Cover "West Palm Beach" macht einen auf räudige Kabarett-Performance im Varieté-Club zwischen meterdickem Zigarrenrauch und Unmengen Alkohol – vor allem auf der Bühne –, bevor die Band im neunminütigen "The killing of the village idiot" noch einmal alles vom Stapel lässt, was Saiten, Tasten und Stimmbänder hergeben. Uff. "Springtime", das Album, schöpft aus vielen Quellen und ist ein unterhaltsames und leicht krankes Vergnügen für Mutige. Die Trierer Musikszene und den heute als Eurovision Song Contest bekannten Sängerwettstreit hätten Springtime, die Band, wohl nachhaltig traumatisiert.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Will to power
  • She moved through the fair

Tracklist

  1. Will to power
  2. The viaduct love suicide
  3. Jeanie in a bottle
  4. She moved through the fair
  5. The island
  6. West Palm Beach
  7. The killing of the village idiot
Gesamtspielzeit: 46:46 min

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Stecko

2021-11-18 18:32:40

Ja, er hat es wirklich drauf! Die Platte läuft auch bei mir in der Dauerrotation, seitdem das Vinyl aus Ausi angekommen ist! Das tieftraurige The viaduct love suicide packt mich jedes Mal und die Geschichte dahinter trägt maßgeblich dazu bei! Wie sein Onkel ist Liddiard ein echter Könner und Poet, seine Texte echt der Wahnsinn!

West Palm Beach und The killing of the village idiot sind grade meine Favs!

Hab bis dato nur die Drohnen live gesehen, aber das war absolut faszinierend! Hoffe das die drei Herren nach Corona auch mal Deutschland beehren!

Danke für den Film Tipp!

u.x.o.

2021-11-17 23:07:52

Was Stecko sagt! Die Springtime Platte läuft hier auch seit VÖ rauf und runter... hatte mich am Wochenende dazu verleitet auch mal wieder alle The Drones Alben in chronologischer Reihenfolge zu hören. Der Typ ist einfach der Wahnsinn!

P.S. TFS haben übrigens irgendeine wirre Art von Film fabriziert. Gibt es am 08.12. im Stream bei Mandolin. Heißt Goody Goody Gumdrops.

Stecko

2021-11-17 23:02:39

Alles von Gareth Liddiard (Drones, Solo, Tropical fuck Storm) ist grossartig, da reiht sich Springtime nahtlos ein!

Watchful_Eye

2021-11-17 22:31:06

Ziemlich großes Album, hört da mal rein. Wird nach hinten raus eher besser. Eine Zuneigung zu jazzigem Postrock hilft auch.

Armin

2021-11-17 22:19:19- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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