Damon Albarn - The nearer the fountain, more pure the stream flows

PIAS / Transgressive / Rough Trade
VÖ: 12.11.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Himmelweit

Nun also Island. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Damon Albarns Musik auf topographischen Pfaden bewegt, die Atmosphäre eines Ortes zu ergründen und einzufangen sucht. Die wilde Coolness des prä-Millenium-London, die flirrenden Steppen Westafrikas, neondurchflutete Cyberpunk-Schluchten Hongkongs und nicht zuletzt die tristen englischen Küsten nach dem Brexit: Stets aufs Neue spukt ein Genius loci durch Albarns Songs. Das ist natürlich ein ziemlich romantischer Ansatz und daraus macht der Künstler keinen Hehl: "The nearer the fountain, more pure the stream flows" ist nicht nur der verschlungene Titel seines zweiten echten Soloalbums, sondern auch ein Vers des Naturdichters John Clare. Eine Pionierleistung stellt es inzwischen nicht mehr da, sich von der monumentale Weiten Islands inspirieren zu lassen – ganz nebenbei ist Albarn seit diesem Jahr auch Bürger des Inselstaats – doch sollte man das alles ohnehin nicht zu direkt nehmen. So wollte Albarn das Album zunächst auch als einen einzigen Song veröffentlichen, dann hat seine Struktur ein Eigenleben bekommen. Geblieben sind die ausladende, weitschweifige Stimmung und das Gefühl, dass Albarn seinen Kompositionen jede Menge Raum zum Atmen lässt.

Meist grundiert sein Klavier die elf Stücke, ein Indiz dafür, dass ihr Ursprung im Intimen liegt. Eine erhabene Klanglandschaft breitet sich im Titeltrack aus: Streicherteppiche, Synthiesphären und tröpfelnde Elektro-Signale planieren den Pfad, auf dem Albarn trauert. "When youth seemed immortal / So sweet it did weave / Heaven's halo around." Dann mischen sich dezente Sirenengesänge in den Hintergrund. Tony Allen, langjähriger Freund und Kollaborateur, starb im vergangenen Jahr, es scheint, als kreisten Albarns Reflektionen um sein Gesicht. Der elegisch-trottende Beat des wunderbaren "The cormorant" lockert die Schwermut nicht auf, die jedoch auf paradoxe Weise leicht und luftig klingt. Eine behutsame skizzierte Strandszene gewinnt plötzlich an Wucht, wenn der titelgebende Vogel Albarn entlarvt: "I think she knows I'm a pathetic intruder / Into the abyss." Immer wieder verlieren sich die Songs und ihr Erzähler in Abschweifungen, leeren Blicken in den Horizont, einer Zeitlupe, die hier auch als Erinnerungspraktik verstanden werden kann. Nicht ohne Humor, wie im schalkhaft betitelten "Daft wader", dessen Coda ein experimentelles (und erstaunlich harmonisches) Klangerlebnis aus Satellitenfunken und Hupkonzert erzeugt.

Alleine schon aufgrund ihres Tempos fungieren "Royal morning blue" und "Polaris" als die beiden Pop-Songs des Albums und balancieren so geschickt zwischen Entrückung und eingängigen Melodien, dass sie einen ersten Zugang zu Albarns Explorationen erlauben. Auch gelingt es Albarn meist, die ozeanische Qualität des Albums – Meeresrauschen verbindet nicht zufällig manche seiner Stücke – nicht allzu esoterisch wirken zu lassen. "The tower of Montevideo" beherbergt elegant tanzenden Großstadt-Swing, der sich versonnen seinen Tagträumereien hingibt. Und auch die insgesamt drei Instrumentals setzen wichtige Kontrapunkte, wobei vor allem "Combustion" hervorzuheben ist: Drohendes Bläserschwellen entwickelt sich hier zu einem durchgeknallt-jazzigen Roxy-Music-Jam, der schwankt, als hätte er ein Dutzend Cocktails intus. "The nearer the fountain, more pure the stream flows" verlangt nie offensiv nach Aufmerksamkeit und riskiert im Mittelteil gelegentlich, ins Plätschern zu geraten. So hilft Albarns etwas gequältes Falsett auch nicht dabei, das betuliche "Darkness and light" wieder zu fokussieren. In der richtigen Stimmung liegt darin aber genau seine Stärke: Nicht treiben, sondern tragen will es, seine orchestrale Weite jenem Wind aussetzen, der darin zu einem weiteren Instrument wird.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The nearer the fountain, more pure the stream flows
  • The cormorant
  • Combustion
  • Polaris

Tracklist

  1. The nearer the fountain, more pure the stream flows
  2. The cormorant
  3. Royal morning blue
  4. Combustion
  5. Daft wader
  6. Darkness to light
  7. Esja
  8. The tower of Montevideo
  9. Giraffe trumpet sea
  10. Polaris
  11. Particles
Gesamtspielzeit: 39:50 min

Im Forum kommentieren

ZoranTosic

2024-01-25 23:43:28

Großartiges Album. Bekommt viel zu wenig Liebe.

AliBlaBla

2022-05-22 17:44:43

@qwertz
Ja, absolut. Man kann es nicht überbetonen, das er mehr als "Mr.Blur", "Mr.Gorillaz" ist, ..begnadeter Musiker und Brückenbauer, dabei gechillt...

qwertz

2022-05-22 17:39:43

Es gab am Donnerstag bei Arte einen Konzertmitschnitt und eine tolle Doku über das musikalische Leben von Damon Albarn. Nachzusehen, z.B. hier: https://www.youtube.com/watch?v=N9IGgp3etVg

Sehr spannend dabei ist, wie jedes seiner Projekte und teilweise auch die einzelnen Blur-Alben mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Großbritannien in Zusammenhang gebracht werden, von Thatcher über Brexit bis Corona. Dazu erfährt man viel über seine Begeisterung für Weltmusik. Wirklich empfehlenswert!

fuzzmyass

2022-01-26 13:56:57

Swift reagiert halt wie es für die heutige Zeit leider üblich ist - kurz mal nen paarzeiligen Twitter Clickbait Teaser mit unvollständiger Info aufgeschnappt, keine Mühe gemacht die gesamte Aussage durchzulesen oder gar Albarn mal nicht öffentlich zu kontaktieren, aber den unvollständigen LA Times Teaser samt öffentlicher Empörung und Angriff auf Albarn geteilt und indirekt ihre Fans auf ihn gehetzt, garniert mit spöttischen Ton (»PS: Falls du dich wunderst – ich habe diesen Tweet selbst verfasst.«)... kann sich ja jeder selbst denken, was er davon hält...

The MACHINA of God

2022-01-26 10:53:20

Bin da auch bei fuzzy. Find das ziemlich overblown.

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