
Elbow - Flying dream 1
Polydor / UniversalVÖ: 19.11.2021
Kein Theater
Was ist es denn, da am Himmel? Ein Vogel? Ein Flugzeug? Guy Garvey muss mehrfach blinzeln und bleibt dennoch im Unklaren, was sich dort oben bewegt. Ähnlich unsicher shuffelt die Band im Hintergrund, traut sich nur sachte Percussion und kleine Klaviertupfer im entsprechend betitelten "Is it a bird". Einen starken Jazz-Vibe trägt das Stück in sich und liegt damit in der Linie des neunten Studioalbums "Flying dream 1", welches Opulenz und Reduktion auf einen Nenner bringt. Nach dem Songwriting während des Lockdowns nahm das Quartett die zehn Stücke im Brighton Theatre Royal auf, mit tatkräftiger instrumentaler Unterstützung. Bombast sei ja nichts Neues für Elbow, möchte man nun meinen – doch auf "Flying dream 1" wird die volle Bandbreite des Orchesters nahezu gerecht auf die meist leisen Stücke aufgeteilt. Keine Aggression wie auf "Giants of all sizes", keine Schwere wie auf "The take off and landing of everything". Eher alles gemäß eines früheren Mantras: "We still believe in love, so fuck you."
Die Konzentration auf wenige Elemente sorgt dafür, dass Garveys Liebestaumelei und Gefühlsseligkeit eine angenehme Erdung erhalten. Es wirkt besonnen, fast festlich, wenn er die "Six words" "I'm falling in love with you" ausspricht und dazu zunächst nur einen traumhaften Klavierlauf findet. Der rhythmische Switch inmitten des Songs kommt umso wirkungsvoller: "You bring my hand to my heart / You fling all my plans to the wind." Der Songtitel "Calm and happy" kann quasi als Leitlinie für die gesamte Platte gesehen werden, das Stück selbst gibt sich nur zu Anfang verschlossen und öffnet seinen melodiösen Kern nach und nach. Offensive Refrains und hymnische Hooks sind ohnehin selten auf "Flying dream 1", das lieber den Halt in der eigenen Fragilität sucht und diese in einer exzellenten, transparenten Produktion festhält.
Natürlich verhindert das nicht, dass der behutsame Opener und Titeltrack mit der Aufforderung "Step into the air" einmal mehr mitten ins Herz trifft. Neben diesem Rückbezug auf "Flying dream 143" von "Cast of thousands" fällt natürlich auch "The seldom seen kid" ins Auge, welches ebenso wie das gleichnamige Album dem verstorbenen Freund Bryan Glancy gewidmet ist. Die Blasinstrumente weben einen Teppich, auf welchem Garvey anrührend Vergangenheit, Gegenwart und Fantasie miteinander bekannt macht: "He'd steal you for dancing / And you'd lend him your arms / And I'd stooge for your laughing / And you'd twirl in a chaos of charm." Kaum minder ergreifend gerät die abschließende Ode "What am I without you" an den eigenen Nachwuchs. "What am I on the Earth for / If not to put you to bed?", fragt Garvey und wenigstens einmal kommt das gesamte Instrumentarium zu einem glorreichen Einsatz, bevor die Coda sachte auf das Klavier zurückfällt und das Album so endet, wie es begann.
Dieses Spiel zwischen Minimalismus und Pathos definiert "Flying dream 1". Das vor Liebe torkelnde "Red sky radio (Baby baby baby)" könnte etwas zu viel sein, dient im Fluss aber als wohldosierter Kitsch nach dem wundervoll simplen "The only road". "I've never been so sure that I was right where I should be in my whole life" – Elbow sind schon lange dort angekommen, wo sie sein wollen. Dass sie an diesem Punkt noch neue Akzente setzen, die Kargheit des Debüts "Asleep in the back" mit der Wärme späterer Werke und der Fülle eines Orchesters verbinden, damit einen eigenen Vibe schaffen, ist etwas, das immer noch überraschen kann. Sie ziehen es so selbstverständlich durch, als wäre nichts gewesen. "Step into the air." "Come out into the sun." War da ein Vogel?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Flying dream 1
- Six words
- The seldom seen kid
- What am I without you
Tracklist
- Flying dream 1
- After the eclipse
- Is it a bird
- Six words
- Calm and happy
- Come on, Blue
- The only road
- Red sky radio (Baby baby baby)
- The seldom seen kid
- What am I without you
Im Forum kommentieren
hesmovedon
2022-01-02 12:37:01
Perfekt für diese Jahreszeit. Ich mag das Album richtig, die PT-Wertung passt. Könnte jetzt aus dem Stegreif keine Höhepunkte hervorheben, dafür auch kein einziger Ausfall. Wie so oft bei Elbow: nach dem ersten Durchlauf, na ja geht so. Aber wenn man der Musik etwas Zeit gibt, bleibt immer mehr hängen.
carpi
2021-12-17 18:30:10
Verbreitet bei mir nach zwei Durchgängen eine ähnliche Stimmung wie die Alben Richard Hawleys, gerade um die Weihnachtszeit wirkt das sehr harmonisch und feierlich, geht dabei aber schon in Richtung Behäbigkeit, bin mir aber sicher, dass auf Dauer mehrere Songs hängenbleiben. Eindeutiger Favorit derzeit "Come on, Blue", dicht gefolgt von The Seldom Seen Kid und "Six Words".
Perfect Day
2021-11-23 22:33:55
„Flying Dream 1“ ist in der Tat ganz beeindruckend, gerade weil der Song sich auch angenehm zurücknimmt. Mir gefallen aber alle Songs, mit einer kleinen Einschränkung: der Closer ist mir dann doch ein wenig zu gewollt pompös.
myx
2021-11-23 22:15:37
Das Album wärmt die Seele, wenn man das vielleicht so sagen kann, wobei ich "Flying Dream 1" und ganz besonders "The Seldom Seen Kid" am schönsten finde. Mein Lieblingsalbum von ihnen bleibt aber klar das teilweise sperrige Debüt "Asleep In The Back".
Perfect Day
2021-11-23 21:59:24
Ich mag das Album… ruhig und unaufgeregt mit dezenter Instrumentierung.
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