Ada Lea - One hand on the steering wheel, the other sewing a garden

Saddle Creek / Rough Trade
VÖ: 24.09.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Am Grab der Nostalgie

Kondome beim Sufjan-Stevens-Projekt Sisyphus, ein Schach-Set bei GZA, ein Ufo zum Selbstbasteln bei ELO. Die Musikwelt hat bereits einige ausgefallene Vinyl-Extras gesehen und bekommt in dieser Hinsicht Zuwachs durch Ada Leas "One hand on the steering wheel, the other sewing a garden". Das zweite Album der Kanadierin, die eigentlich Alexandra Levy heißt, enthält in der Special-Edition eine Karte ihrer Heimatstadt Montreal, die jeden der elf Songs lokal und jahreszeitlich genau einordnet – kein Gimmick, sondern ein handfester Beweis für die unheimliche Präzision von Levys Storytelling. Eigentlich strotzen ihre zwischen subtilem Folk-Rock und Herbst-Pop pendelnden Vignetten nur so vor autobiografischen Spezifika, die sich für Außenstehende kaum nachvollziehen lassen. Doch in der Lebendigkeit des Erzählens fügen sich die non-linearen Fragmente zu einem so plastischen Panorama zusammen, dass einem die besungenen Geschichten wie die eigenen Erinnerungen vorkommen.

Die nicht nur metaphorische Reise beginnt auf einer Neujahrsparty. Die Gitarren-Seufzer von "Damn" stapeln sich bis zur Entladung auf, ähnlich wie auch die so gar nicht feierlaunige Levy ihren Frust übereinanderschichtet: "Every year is just a little bit darker / Then the darker gets darker / Then it's dark as hell." Die Begegnung mit einem oder einer Ex verleitet sie ein paar Songs später in "Partner" dazu, die Beziehung zu rekonstruieren. Ihre Gedanken bei einer nächtlichen Taxifahrt formen sich zu einer Flashback-Szene, die Stimmverfremdung fungiert als Schwarzweißfilter, die taumelnden Drums und das beschwipste Piano klingen, als hätten sie sich ein paar Schlucke vom in den Textzeilen fließenden Wein genehmigt. Levys Lyrics stecken voller poetischer Details und Verweise aufeinander, bewahren sich aber immer eine Einfachheit und Unmittelbarkeit der Bilder. Der Midtempo-College-Rock von "Oranges" scheint im Refrain einmal tief Luft zu holen, um in den Strophen die Worte über alle Versgrenzen hinweg sprudeln zu lassen: "City parks in the daytime / The revving of the motor bikes in the night / Your bed positioned so the sun rises to your left / And a Bible of sorts lies to your right."

Prägt die erwähnten Songs noch ein voller, warmer Bandsound, tragen andere den reduziert-folkigen Charakter des Debüts "What we say in private" weiter. Oft geht damit ein optimistischerer Grundton einher wie etwa in "Writer in NY" oder "Backyard", einem von Streichern umschwirrten Walzer, der eine idyllische Fantasterei vom ewigen Verbleib in der Heimatstadt zeichnet. "Very Proustian this passage of time", heißt es im sommerlich gezupften "Saltspring", doch wenn der Track am Ende in unheimlicher Zeitlupe kollabiert, scheint er der Nostalgie eher ein Grabmal setzen zu wollen. Dass Verfall und Leben nur miteinander existieren können, weiß auch "My love 4 U is real". Synths und Trommelwirbel bauen zum Chorus hin Momentum auf, kurz scheint Levy davonzuschweben, ehe sie der unerwartet harsche Saitenkrach wieder auf den Boden holt. "I wanted so badly for you to feel it like I did", singt sie, doch ihre Liebe wirkt nur deshalb echt, weil sie im Kontrast zu einer falschen steht, die halbtot in der Ecke hängt.

In diesem Sinne versteckt das Album ein paar überraschend harte Brocken unter seiner lieblichen Schale, die sich manchmal auch den Weg nach außen bahnen. "Can't stop me from dying" untergräbt seine zentrale Zeile "I love my neighbourhood" mit einer kühlen Paranoia samt New-Wave-Gestus und ominösen Saxofon-Akzenten. Die letzten beiden Stücke artikulieren die inneren Narben am deutlichsten und tragen sie sogar im Titel. Von einer verzerrt heulenden Pedal-Steel begleitet, schafft "Violence" die Flucht aus einer destruktiven Beziehung nur in der Vorstellung: "I'm flying out of here tonight like a butterfly." Im tiefschürfenden "Hurt" würde sich die verwundete Protagonistin am liebsten in den Bus setzen und zu ihren Eltern zurück nach Montreal fahren. Der Finger gleitet über die Karte, und man hofft, dass die emotionale Reise der letzten 40 Minuten tatsächlich nicht chronologisch verlief. Jeder Schmerz ist überwindbar, selbst wenn er an einem vermeintlichen Endpunkt steht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Can't stop me from dying
  • Saltspring
  • My love 4 U is real
  • Hurt

Tracklist

  1. Damn
  2. Can't stop me from dying
  3. Oranges
  4. Partner
  5. Saltspring
  6. And my newness spoke to your newness and it was a thing of endless
  7. My love 4 U is real
  8. Backyard
  9. Writer in NY
  10. Violence
  11. Hurt
Gesamtspielzeit: 40:21 min

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Armin

2021-11-10 22:08:30- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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