
The Truffauts - Chez Simon
Micropal / Broken SilenceVÖ: 22.10.2021
Die kleinen Prinzen
"Bonjour, Paris", "Arthur est un perroquet", oui, oui, baguette, fromage: So viel Französisch kriegt wohl jeder Mensch noch hin, der sich an die meist zweite Fremdsprache seiner Schullaufbahn zurückerinnert. Größerer Beliebtheit hat sich das Fach dabei mit seinen zehntausend Grammatikregeln und gefühlt doppelt so vielen Ausnahmen selten erfreut, und das ist – zumindest im Umfeld des Rezensenten – noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Die Franken von The Truffauts sind der Gegenentwurf zu jenen traumatisierten Nörgler*innen, die heute noch mit Schrecken an die versemmelten Klausuren von damals zurückdenken: Hat die Band doch schon seit nunmehr 35 Jahren einen – lieb gemeint! – ausgeprägten Frankreichfetisch, der selbst einen Calvin Candie oder andere bekannte Frankophile der Popkultur blass aussehen ließe. Das Gerücht hält sich hartnäckig, The Truffauts seien eigentlich bloß im bayerischen Exil lebende Franzosen (warum auch immer Franzosen sich das freiwillig antun sollten). Die Wahrheit ist gleichzeitig unspektakulärer und spannender.
"Et boum, c'est le choc": Die ewig unter dem Radar der deutschen Auswertungsindustrie laufende Band hat neben ihrem Faible (ein Gallizismus, ha!) nämlich schlichtweg eine ganze Menge auf dem Kasten. Bemühen wir gerne die nicht zu Unrecht verpönte Vokabel "Geheimtipp". Denn ihr facettenreicher Indie-Gitarren-Rock im Spannungsfeld zwischen 60s-Pop respektive -Chanson, Psych-Anleihen und schrammeliger Punk-Attitüde à la Hüsker Dü überzeugt formidabel. Der rumpelig-garagige Charme (schon wieder!) des alles andere als glatt ausproduzierten Albums "Chez Simon", der tatsächlich schon dreizehnten Langspielplatte der gegenwärtig als Trio existierenden Band, reißt mit. "Laisse-moi encore une fois te regarder, me souvenir": Schon der Opener "Avant de partir", eines der drei französischsprachigen Stücke, ist nämlich einfach – so viel Klischee muss sein – äußerst romantisch. Wenn sie nicht derart rotweinbeduselt schwelgen, nehmen die hoffnungslosen Gefühlsmenschen ansonsten gerne dezent punkerhaft und sympathisch wie in "When the tide goes out" die Leistungsgesellschaft, den Kapitalismus und dessen Kinder auseinander. Très bien, les amis!
Aus der Zeit gefallen sind dabei die technischen Hörwerte, der Gesang ist selten tonrein, aber die Spielfreunde von The Truffauts überlagert solcherlei Ansprüche mit besonders viel Elan. "Chez Simon" könnte eben auch schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Zähflüssig und bedrohlich bohrt sich die Gitarre von "Reste" (bitte nicht deutsch aussprechen) in die Gehörgänge, verschlurft kommt das Slacker-Lamento "Don't take over" daher, immer aber dürfen die Sechssaiter jaulen und brausen, als gehöre ihnen die Welt. Gepaart mit den simplen, aber zündenden Melodien wie exemplarisch in "L'antipode", stellt sich am Ende hauptsächlich die Frage, warum dieser Band bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ob es mit den furchtbaren Kindheitserinnerungen vieler potenzieller Fans zu tun hat? Vielleicht stehen die Texte von The Truffauts ja wenigstens im Frankenland bald auf dem Lehrplan, und zumindest kommende Generationen geben der ungeliebten Sprache noch mal eine Chance und der Band gleich mit. À bientôt!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Avant de partir
- Reste
- Don't take over
- L'antipode
Tracklist
- Avant de partir
- Sad/Glad
- When the tide goes out
- Reste
- Don't take over
- L'antipode
- Out of sight, out of mind
- Death-ridden granger
- Centipedes don't bite
- Under control
- Stay away from me
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Armin
2021-10-20 21:03:05- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- The Truffauts - Chez Simon (1 Beiträge / Letzter am 20.10.2021 - 21:03 Uhr)