Fischer-Z - Til the oceans overflow

So Real / PIAS / Rough Trade
VÖ: 08.10.2021
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Vom Regen in die Traufe?

Es ist schon ein bisschen tragisch. Da produziert man im Laufe einer mittlerweile fast 45 Jahre andauernden Karriere Album um Album – und am Ende reduziert sich dann doch alles auf diese eine Platte. Für John Watts heißt diese eine Platte "Red skies over paradise", mit welcher der Brite sich und seine Band Fischer-Z 1981 in den Olymp der New Wave katapultierte. Was nicht nur an den Über-Singles "Berlin" und "Marliese" liegt, deren Airplay-Tantiemen Watts auch heute noch den Tisch decken, sondern auch daran, dass "Red skies over paradise" voller Zeitgeist steckte. Eingebettet in eine grobe Rahmenhandlung im Berlin des Kalten Krieges, verband das Album auf meisterhafte Weise die Wut auf den Thatcherismus mit der Angst vor dem finalen Atomschlag. Eigentlich wäre nun der 40. Jahrestag der Veröffentlichung dieses Meilensteins ein Grund zum Feiern, flankiert von opulenten Special Editions und sonstnochwas, doch dem Alt-Linken Watts ist dieser Kommerz zuwider.

Zumal der mittlerweile 66 Jahre alte Sänger und Gitarrist noch eine Menge zu sagen hat. "Til the oceans overflow" nimmt die Umgebung von "Red skies over paradise" mit auf einen Zeitsprung in das heutige Berlin – das natürlich über die Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges zu einer brodelnden Metropole gereift ist. Das Einzige, was im Gegensatz zu 1981 noch strahlt, ist die Sonne über dem Alexanderplatz im Artwork. Doch die Angst vor der nuklearen Apokalypse ist der Sorge angesichts der Klimakatastrophe gewichen, während die Menschen – auch das ist jetzt nicht wirklich Breaking News – immer leichter manipulierbar geworden sind. Die bereits im April 2020 veröffentlichte Single "Choose" ist so ein Fanal, ein Aufruf, die letzten Chancen zu ergreifen, um den fatalen Klimawandel von Menschenhand vielleicht nicht zu stoppen, doch zumindest entscheidend zu verlangsamen. "Saving the world must be the cause of every nation / You have a voice / And you have a choice / So choose!"

Watts mag älter geworden sein, weniger meinungsstark ist er deswegen noch lange nicht. Der Titeltrack schlägt in die gleiche Kerbe wie der Opener, wenn auch mit erheblich dunklerem Unterton, während das schräge "Dystopia's here" und "A.I.Owns.U" eindringlich auf die negativen Seiten unserer digitalisierten Gesellschaft hinweisen – eine Gesellschaft, die so vielfältig sein will und doch abhängig von Algorithmen und Filterblasen ist. Dem gegenüber stehen die wunderbaren Reminiszenzen an "Red skies over paradise". Endlich erfahren wir mit "Brian", was wirklich aus dem Ausreißer geworden ist, über in dem Song "You'll never find Brian here" erzählt wurde. "Romance can last forever" ist eine wunderbare Liebeserklärung an die Stadt, die Watts schon vor vier Jahrzehnten so inspiriert hat, und selbst die damals in "Marliese" besungene Dame taucht in "Oh, compassion" wieder auf.

Diese beiden Themenfelder sind es allerdings, die "Til the oceans overflow" ein wenig die Konsistenz rauben. Ein Teil der Songs erschließt sich nur denjenigen, die mit "Red skies over paradise" und dem damit verbundenen Lebensgefühl alt geworden sind, und gerade die Verbindung zwischen dem Blick zurück und aktuellen Themen wird nicht immer klar. Doch Watts' Gesellschaftskritik hat auch im fortgeschrittenen Alter nicht an Schärfe verloren und prangert mit dem abschließenden "Same boat" Ungerechtigkeiten der medizinischen Versorgung in der Pandemie an. Wir sitzen alle im selben Boot? Nicht wirklich, auch wenn Watts' Meinung durchaus durch den maroden Zustand des britischen National Health Service gefärbt sein mag. Genau das ist der Grund, warum "Til the oceans overflow" trotz dieser kleinen Schwächen ein gutes, ein wichtiges Album ist. Und zum Vergleich den natürlich unerreichten Klassiker "Red skies over paradise" mal wieder aufzulegen, kann ja auch ganz prima sein.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Choose
  • Til the oceans overflow
  • Same boat

Tracklist

  1. Choose
  2. Brian
  3. Romance can last forever
  4. Cuban rain falling
  5. Waterside
  6. The selfish mirror
  7. Til the oceans overflow
  8. Narcissus took me down
  9. Big orange sun
  10. Oh, compassion
  11. Dystopia's here
  12. A.I.Owns.U.
  13. Same boat
Gesamtspielzeit: 44:49 min

Im Forum kommentieren

Superhelge

2021-10-16 21:51:50

Frage (auch an die Redaktion):
Ne 6/10 ist nach PT-Maßstäben ja ziemlich gut. Kennt ihr die letzten Alben, die ja alle ziemlich verrissen wurden.

Ich finde nämlich, bereits seit dem 2019er Album ist Watts wieder ziemlich stark, nur irgendwie merkts keiner...

NeoMath

2021-10-14 09:24:14

Was für eine öde Platte.
Maximal 4/10

Watts hat sein Feuer auch schon lange verschossen oder!?
Beim Cover dachte ich erst: Geil, vielleicht etwas Back to the roots? Aber das ist reine Makulatur. Zu hören gibt es ausschließlich schnöden, angepassten Pop ohne herausragende Ideen oder Momente.
Überflüssig!

Armin

2021-10-13 21:40:51- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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