Peter Maffay - So weit
SonyVÖ: 17.09.2021
Wetterfest
Einer der Granden der deutschen Pop-Geschichte feiert Jubiläum: Mit "So weit" gelingt Peter Maffay sein 20. Nummer-Eins-Album. Eine imposante Serie, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf zwei Eckpfeiler stützte: die Massentauglichkeit des Schlagers und die Authentizität des Rock'n'Rollers, die zwar inzwischen etwas anachronistisch anmuten mag, ihren Charme aber unvermindert breit durchs Land streut. "So weit", so gut also? Nicht ganz: Es ist keine bloße Floskel, wenn sich der 72-jährige diesmal ein wenig überrascht zeigt, erneut auf den kommerziellen Thron geklommen zu sein, denn seine neue Platte bricht mit manchen Gewohnheiten. Zum einen komponierte Maffay erstmals alle Lieder auf einem Studioalbum selbst, zum anderen verpasste er ihm ein dezidiert anderes Gewand. Als einziger Gastmusiker gesellte sich der niederländische Multiinstumentalist J.B. Meijers zu den Aufnahmen, Eingeweihten bekannt als Mitglied von The Common Linnets, die vor einigen Jahren mit überraschend dezentem Folk-Pop den zweiten Platz beim ESC abräumten. Herausgekommen ist ein zurückgenommenes, reflektiertes Singer-Songwriter-Album mit klarer musikalischer Vision – eine Entscheidung, zu der man nur gratulieren kann.
Atmosphärisch offenbart bereits das Video zum Titeltrack den roten Faden der elf Lieder. Über Drumcomputer und minimalistischem Moll-Riff präsentiert Maffay oberkörperfrei seine zahlreichen Tätowierungen, führt eine unfreiwillig komische, aber doch charmante Tanzchoreo auf und blickt in anekdotischen Ausschnitten auf seine Karriere zurück. Gemeinsame Fotos mit Mick Jagger, Angela Merkel und dem Dalai Lama ziehen vorbei: Der Mann hat was erlebt! Der Opener "Jedes Ende wird ein Anfang sein" begrüßt mit erdig-bluesigen Akustikgitarren, bevor Maffays unverkennbare Stimme ein zyklisches Zeitverständnis formuliert: "So wie ein Kreis, der sich niemals verliert", werde "jede Zukunft [...] Vergangenheit". Die Chöre im Refrain erinnern derweil an Uriah Heeps "Lucky man" und betonen die ganz große Perspektive. Es antwortet die tröstende Hoffnung im nächsten Song: "Und wenn wir uns wiedersehen / Uns in die Arme nehm'n / Ist das Abschiednehmen endlich mal vorbei." Und die Grenze zwischen Tod und Leben wiederum nicht unüberwindbar, so scheint es.
Dass ein Großteil der Texte aus der Feder des Belanglosigkeitsfetischisten Johannes Oerding stammt und hauptsächlich auf Vagheit setzt, fällt dank Maffays charismatischem Vortrag kaum negativ ins Gewicht. Auch blickt "So weit" thematisch über den Tellerrand hinaus. Man nehme das mit stilvoller Leadgitarre arrangierte, schwermütige "Wounded Knee", in dem das dort begangene Massaker an den Sioux verarbeitet wird, als nicke Maffay über den großen Teich Neil Youngs Cortez zu. Klischeebildern von Geistern, Wind und Schnee setzt seine wettergegerbte Stimme ein unversöhnliches und durchaus ergreifendes "Doch dieser tiefe Schmerz geht nie" entgegen. Und die vollständig reduzierte Pianoballade "Odyssee" skizziert Bilder von Leid und Aufbruch, um sie in der letzten, nachhallenden Strophe klar zu verorten: "Und da am weißen rettenden Strand / Liegt ein kleiner Junge / Tot im Sand." Die Vorstellung, das Elend der Geflüchteten in ein sentimentales Liedchen verpacken zu können, ist in jedem Fall eine bedenkliche. Doch Maffays Anliegen wird von einer Anteilnahme getragen, die es zu einem spürbar ehrlichen machen.
Gegen Ende erweitert "So weit" nochmal sein musikalisches Spektum, ohne freilich aus seinem Muster völlig auszubrechen. "Weiter" rockt mit angezerrter Gitarre und treibendem Schlagzeug drauflos, "Lockdown Blues" ist tatsächlich genau das: launiger Anti-Corona-Blues-Rock: "Wir setzen Masken auf, machen die Grenzen zu / Brauch' eine Pause von diesem Lockdown-Blues." Das obligatorische Mundharmonika-Solo muss natürlich auch noch sein. Auch wenn in fast jedem Song die Strophen spannender als die meist etwas abgegriffenen Refrains daherkommen – Kirchglocken und ein funkiger Rhythmus ragen in "Wir" heraus – und die Texte redundant den alten weisen Rocker herauskehren, ist "So weit" ein berührendes Album geworden. Klug betont seine Absage an aufgeblasenen Pomp Maffays raubeinige Sensibilität, die im Gegensatz zu so vielem deutschen Pop kein Interesse an banaler, eitler Selbstbespiegelung hat. "Regen klopft an unser Fenster", heißt die letzte Zeile des Albums. Gut, dass Maffay es so manches Mal geöffnet hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wenn wir uns wiedersehen
- Wounded Knee
- Lockdown Blues
Tracklist
- Jedes Ende wird ein Anfang sein
- Wenn wir uns wiedersehen
- Wounded Knee
- Odyssee
- So weit
- Weiter
- Lockdown Blues
- Nie mehr
- Wir
- Wann immer
- Wir zwei
Im Forum kommentieren
Bernd
2021-09-29 20:45:47
Und wie die neue von den Ärzten
Mr Oh so
2021-09-29 20:41:37
Ne, gab nur 6/10. Das Album scheint also ungefähr so gut wie Frances the Mute zu sein.
Bernd
2021-09-29 20:21:25
9/10
Armin
2021-09-29 19:59:38- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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