We Were Promised Jetpacks - Enjoy the view
Big Scary Monsters / Al!veVÖ: 10.09.2021
Innen schön
"Mit etwas Abstand kommt die Erkenntnis", schrieb die sehr geschätzte Kollegin Depner einst auf diesen Seiten und der Rezensent weint sich ein paar Tränchen in den Bart. Nicht, weil alles so furchtbar schlimm wäre. Auch nicht, weil die Jahre vergehen und die bahnbrechenden Zugewinne im Leben eher weniger werden denn mehr. Aber sehr wohl wegen ebenjener Erkenntnis, dass sich alles immer weiter dreht, egal wie beschissen oder erbarmungslos die Dinge sind – vor allem die Zeiger der Uhr. Dies wird besonders deutlich, wenn es um Musik geht. Um Klänge, die Emotionen und persönliche Erinnerungen konservieren und mit durch die Jahre tragen wie kaum etwas Anderes. Als We Were Promised Jetpacks 2009, damals noch sehr grün hinter den Lauschern, ihr Debüt "These four walls" aus dem kauzigen Schottland in die Welt losließen, schrieb man Jahr eins nach Barack Obamas Vereidigung. Die weltweite Finanzkrise brodelte, Angela Merkels anstrengendste Jahre als Krisenmana... ähm Kanzlerin sollten noch vor ihr liegen.
Mit wie viel Wucht der Erinnerungs-Sack jene nunmehr über zwölf Jahre auf die Schultern lädt, hört man auch am Sound von We Were Promised Jetpacks. Mehr Veränderung hin zum Zarten, Feingeschliffenen als im schüchternen Auftakt "Not me anymore" konnte man sich kaum ausmalen. Jedenfalls im Vergleich zum krachigen und furztrockenen Gitarren-Wand-Sound der Frühphase. Doch allzu wörtlich muss man den Titel des Openers zum fünften Studioalbum "Enjoy the view" nicht nehmen. Denn natürlich sind hier die liebgewonnenen, hochtalentierten Musiker am Werk, was sich nicht bloß in der vertraut-knödeligen Stimme von Vokalist Adam Thompson manifestiert. Die spezielle, flehende und emotional packende Atmosphäre stellt sich spätestens zum Track "All that glittered" ein, welcher gen Ende dann auch die breitflächig fräsende, vieles zerlegende Gitarrenwucht der Schotten zumindest andeutet.
Vorher zeigt jedoch die Single "Fat chance", wohin die Reise mit We Were Promised Jetpacks geht: Leichter 80s-Vibe, luftige Post-Punk-Gitarren, wie Editors sie gerne verwenden, umarmender Refrain. Kann man so machen. Und dann "Don't hold your breath too long" gleich mitnehmen auf die Reise, einen Kandidaten, der ähnlich gelagert ist und hintenraus an Konsequenz gewinnt. "Nothing ever changes" ist mit seiner Wucht der wohl stärkste Track für Anhänger aus alten Tagen. Und auch "I wish you well" versprüht ein wenig den ungeschliffenen Garagen-Flair, doch wo früher ausschließlich Lärm und Fetzen regierten, dürfen Synthies einen leitenden, ordnenden Part übernehmen. "If it happens", der tolle Quasi-Titeltrack, mäandert entspannt und hintenraus bestimmt zugleich und steht mit diesem Selbstbewusstsein wohl stellvertretend für die neuen We Were Promised Jetpacks. Frei von Erwartungen, das Schöne und Angenehme aufsaugend, zum Status Quo stehend, auch mal locker lassend: "All I wanna do / Is just get high and enjoy the view." Komplett ohne die Vorzüge eines Rauschs kann man sich diese Welt ohnehin nicht geben.
Gänzlich überraschend kommen die doch reife Entwicklung und die immer klarer gezogenen Konturen einer Band, die mehr Öffnung im Sound wagt, mehr Detailreichtum zulässt, angesichts der Vorgänger-Alben natürlich nicht. Man wird im Falle von "Enjoy the view" unter Umständen dennoch hier und da etwas Energie und Wucht vermissen, wegen der man etwa zu "Quiet little voices" auf so manchem Indie-Rock-Floor Schweißtropfen en masse produzierte. Mit ein bisschen Muße und Aufmerksamkeit jedoch honoriert man die aktuelle Strahlkraft dieser Band und staunt, etwa über die funky Melancholie von "Blood, sweat, tears" – Foals klatschen sicherlich Applaus. Vieles verändert sich, Vieles ist vergänglich. Doch, und das gilt auch für den repetitiv angerichteten Closer "Just don't think about it", der Post ohne Rock zelebriert: Innere Schönheit und Vertrautheit bleiben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- All that glittered
- If it happens
- Nothing ever changes
- Just don't think about it
Tracklist
- Not me anymore
- Fat chance
- All that glittered
- Don't hold your breath too long
- What I know now
- If it happens
- I wish you well
- Blood, sweat, tears
- Nothing ever changes
- Just don't think about it
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Gomes21
2021-10-22 14:09:40
Ja muss ich dir recht geben. Außer dass sie Schotten sind finde ich auch gar nicht so viele Ähnlichkeiten.
FR hat bei mir aber noch mal nen ganz besonderen Stein im Brett, das haben WWPJP noch nicht geschafft.
Leech85
2021-10-22 10:33:53
Hmmm finde es schwierig die 2 Bands zu vergleichen. WWPJP stehen eher für atmosphärischen Rock welcher auch viel viel liebe fürs Detail mitbringt. Und früher auch PostRock Einflüsse hatte. FR hingegen sind für mich Alternativ Rock mit hervorragenden Texten welche traurig und ehrlich sind. Darum kann ich diese 2 nicht wirklich vergleichen. Dann eher Manchester Orchestra und FR.
Gomes21
2021-10-22 10:19:21
Finde die 7 bei aller Sympathie für die Band auch völlig in Ordnung. Kommt für mich an kein Frightened Rabbit Album ran wenn man den Vergleich ziehen möchte. Trotzdem kein schlechtes Album, bei weitem nicht!
Leech85
2021-10-22 10:16:36
Eine 9 kann ich leider nicht geben. Finde die 7 geht völlig in Ordnung.
Das Album beginnt für WWPJP Verhältnisse schwach. Erst ab Track 4 Don't hold your Breath wirds besser. What I know now ist eine tolle Ballade kommt aber zb. nicht an Hanging In oder Conductor heran.
Nothing Ever Changes ist dann der Song des Albums für mich mit einem tollen Riff.
Der Abschluss ist dann nochmals durchwachsen und bleibt wenig hängen. Für mich bisher Ihre schwächste Platte,an manchen Tagen aber auch die 2. schwächste. The Unravelling und diese nehmen sich nicht viel.
ToniDoppelpack
2021-10-21 16:15:24
Super Album, für mich eine 9. So hätte ich mir noch ein Frightened Rabbit Album gewünscht.
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