Joy Orbison - Still slipping vol. 1
XL / Beggars / IndigoVÖ: 13.08.2021
Bleibt in der Familie
Verwandte sind oft wie Fische. Schon nach kurzer Zeit stinken sie einem und spätestens nach dem siebten Bier starren sie glasigen Auges in die Weltgeschichte. Peter O'Grady, der Brite mit dem mäßig originell verballhornten Crooner-Pseudonym, kennt das Problem vermutlich. Schließlich hört niemand auf Familienfeiern gerne Sachen wie "Schon seit 2009 machst Du diese komische Musik und immer noch keine Langspielplatte, warum denn bloß, Junge?". Immerhin: Bei nächster Gelegenheit kann er mit "Still slipping vol. 1" trumpfen, seinem ersten Album unter dem Alias Joy Orbison – nach der 2019er-EP "Slipping" bereits die zweite Veröffentlichung in relativ kurzer Zeit, auf der O'Grady sich mehr Zeit nimmt als nur für ein, zwei Tracks. Dass er das Ganze selbst als Mixtape bezeichnet, sitzen wir an dieser Stelle mal tapfer aus – oder beziehen es auf die gemischten Gefühle, die diese 14 Stücke in brüchiger Post-Dubstep-Ästhetik wecken. Ein Debüt wie ein Kaffeeklatsch mit Likörchen: Dauernd quatscht jemand dazwischen.
Das gilt vor allem für die versammelte Familien-Bande, die O'Grady immer wieder in die Stücke reinschneidet. Seinen Vater, der im Opener "w/ Dad & Frankie" über emulierten Hawaiigitarren-Twangs die Vorzüge von Ben-Sherman-Hemden erläutert, seine Mutter, die dem Sound ihres Sohnes einmal gar Mitsummbarkeit attestiert, oder Cousine Leighann, die den Südlondoner einst mit Drum'n'Bass und Garage House bekanntmachte und nun das Cover ziert. Vielleicht ist sie es sogar, die am Ende des verhuschten 2Step-Kartons "Sparko" einwendet, so richtig vom Hocker haue der Begriff Mixtape im Grunde niemanden mehr. "Gar nicht wahr!" poltert es darauf aus der entgegengesetzten Ecke des Wohnzimmers – zu Recht. Denn mit "Swag" folgt ein minimalistisches, von sparsamen Raps durchzogenes Geklacker, ehe Léa Sen dem dunklen digitalen Rumpeln von "Better" mit ihrer Stimme eine zwingende Hook und beschwichtigenden Soul einhaucht. Selten waren die Grenzen zwischen Track und Song fließender.
Dabei hat es etwas reizvoll Unbefugtes, wie O'Grady sein Publikum zum Mitlauscher macht, während von seinen ersten musikalischen Gehversuchen oder den alkoholischen Eskapaden der Großeltern die Rede ist. Bei "''rraine" mischen sich Stimmfetzen mit Echos aus einer elektronischen Zwischenwelt – als würde Burial-Mann William Bevan von nebenan das Geschehen per "Ghost hardware" steuern. "Bernard?" massiert die Hirnrinde mit Handclaps und wohligem Bass, "Froth sipping" besäuft sich an Electro-Spitzen, "Layer 6" lässt im Grime-Club verirrten Kraftwerk die Vocoder-Kontakte oxidieren. Roboter-Pop ohne Pop und in seiner Fragmentiertheit ein treffendes akustisches Pendant zur mit der Spieldauer zunehmenden Angetütertheit der Anwesenden. Wirklich zu sich kommt "Still slipping" erst wieder im knochentrocken pumpenden "Born slipping", das zum Schluss listig auf den fast gleichnamigen Underworld-Banger verweist. Die besten Familienfeiern sind halt wie damals die Achtziger: Wer sich erinnern kann, war nicht dabei.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Swag w/ Kav (w/ James Massiah & Bathe)
- Better (w/ Léa Sen)
- Layer 6
- Born slipping (w/ Tyson)
Tracklist
- w/ Dad & Frankie
- Sparko (w/ Herron)
- Swag w/ Kav (w/ James Massiah & Bathe)
- Better (w/ Léa Sen)
- Bernard?
- Runnersz
- 'rraine (w/ Edna)
- Glorious amateurs
- S gets jaded
- Froth sipping
- Layer 6
- In drink
- Playground (w/ Goya Gumbani)
- Born slipping (w/ Tyson)
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Pete Dorn
2021-08-28 10:50:09
Von meinem rockistischen Standpunkt aus ist "Swag" HipHop. Ansonsten stimmt es, das seelenlose Gefrickel ist kalt und nahezu unhörbar, aber nie verstörend.
ichreitepferd
2021-08-28 10:32:45
Hip-Hop? hahaha Dulli
oldschool
2021-08-28 10:25:55
Unhörbar und kalt
Pete Dorn
2021-08-27 23:54:58
Und elektronische Musik. Nun ja, damit kann ich wenig anfangen.
Pete Dorn
2021-08-27 23:28:36
Wieder Hip-Hop. Da gibt es nach dem ersten Hören keine großen Unterschiede. Sagen wir, Joy Orbison klingt etwas entspannter als Little Simz.
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