The Bug - Fire

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 27.08.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Brandbrief in die Heimat

Das war knapp: An einem Tag im März 2020 zog Kevin Martin samt Familie, Sack und Studio-Pack von Berlin nach Brüssel, am nächsten schlossen pandemiebedingt die Grenzen. Zwar ist ein Lockdown auch in der belgischen Hauptstadt kein Zuckerschlecken – aber so konnte Martin immerhin in Ruhe die subsonischen Räumlichkeiten einrichten, in denen er seine Platten produziert. Auf dass es nach dem Drone-Brocken "Concrete desert" mit Earth und dem eisigen Dubstep-Tunnel "In blue" im Team mit Felicia Chen alias Dis Fig wieder gehörig rappeln möge im mit Rasierklingen gefüllten Dancehall-Karton. Schließlich will der Brite The Bug seinerzeit ursprünglich ins Leben gerufen haben, um sein extra dickes Soundsystem mal ordentlich ausfahren zu können. Egal, ob in Brüssel, Berlin oder Babylon. Was im Grunde kein allzu großer Unterschied ist.

Denn wer in den letzten, vergleichsweise moderaten Alben eine Art Entdeckung der Langsamkeit sah, sollte diese Fehleinschätzung schleunigst korrigieren: "Fire" ist das massivste Brett, das The Bug seit dem 2008er-Meisterwerk "London zoo" aus seinen Gerätschaften gepresst hat. Wie folgerichtig, dass das erste Vorabstück "Pressure" heißt und nicht nur den bewährten Flowdan als Gastvokalisten, sondern auch irres bassiges Beben, Fanfaren aus dem Industriegebiet Jerichos und jede Menge Wut über die aktuellen Zustände im Vereinigten Königreich aufbietet – das Gegenteil von dem, was Kollege Burial lapidarer mit "UK" überschrieb. Soziale Unzumutbarkeit, Versagen der Politik in der Corona-Krise – nur die gewichtigsten Posten in diesem Brandbrief von einem Track, den Martin da gen Heimat schickt. Und das Beste daran: Er fletscht sich gerade erst warm.

Umfangreicher als die Mängelliste ist bei diesem hitzköpfigen Mächtigkeitsspringen allenfalls die der Features. Auch Roger Robinson vom gemeinsamen Projekt King Midas Sound steuert zwei Mal finsteres Spoken Word über eine baldige Covid-Endzeit und die Opfer der Feuerkatastrophe im Grenfell Tower bei. Doch genug des Kontemplativen: Alle anderen Beteiligten haben Schaum genug vorm Mund. Den längsten Atem beweist der auch als Leichtathlet erfolgreiche Logan in "Clash" und "Fuck off", zwei ebenso mit ruinösen Bläsern und unflätigen Raps bewehrten Monster-Cuts. Da schaut selbst Manga Saint Hilaire von Roll Deep angepisst aus der Wäsche und teufelt im knallhart reduzierten Brecher "Bang" furios dagegen. Eins von vielen Stücken, die sich um die Nachfolge des "London zoo"-Highlights "Skeng" bewerben – das Zeug dazu hätten alle.

Dafür reicht Martin das Grollen aus Bass, Beatbox und scharf gestellten Maschinen. Der "Demon" kommt in böser Electro-Gestalt, Moor Mother gibt sich zum groovigen Kriechstrom "Vexed" ähnlich diabolisch, die Kirchenglocken von "How bout dat" rufen zusammen mit der weiblichen Grime-MC FFSYTHO sardonisch zum letzten Ölwechsel. Und wenn Daddy Freddy in "Ganja baby" mit einem klassischen Ragga-Motiv Schlitten fährt, rauchen vor allem die Boxen. Bei so viel begeisterndem Ingrimm im dystopischen Konzentrat vermögen weder Impfdose noch Weihwasserpistole etwas auszurichten. Nahm sich "Untrue" gegen "London zoo" also wie Brian Enos "Music for airports" aus, was ist dann "Fire"? Ein schalldichter Panikraum, in dem man viel hüpfen muss, damit einem der Leibhaftige nicht das Hinterteil versengt? Oder einfach das nächste Meisterwerk?

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Pressure (feat. Flowdan)
  • Demon (feat. Irah)
  • Clash (feat. Logan)
  • How bout dat (feat. FFSYTHO)

Tracklist

  1. The fourth day (feat. Roger Robinson)
  2. Pressure (feat. Flowdan)
  3. Demon (feat. Irah)
  4. Vexed (feat. Moor Mother)
  5. Clash (feat. Logan)
  6. War (feat. Nazamba)
  7. How bout dat (feat. FFSYTHO)
  8. Bang (feat. Manga Saint Hilaire)
  9. Hammer (feat. Flowdan)
  10. Ganja baby (feat. Daddy Freddy)
  11. Fuck off (feat. Logan)
  12. Bomb (feat. Flowdan)
  13. High rise (feat. Manga Saint Hilaire)
  14. The missing (feat. Roger Robinson)
Gesamtspielzeit: 51:25 min

Im Forum kommentieren

peter73

2021-12-02 19:45:03

ziemliches brett aus apokalyptischen triphop/lava/grime-soundscapes und hiphop-features; warum zum geier ist hier im forum keine rede von diesem ding?

p.s.:
könnte ich für mich bitte eine instrumentalversion davon haben? danke.

Armin

2021-08-27 21:17:20- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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