Steve Gunn - Other you
Matador / Beggars / IndigoVÖ: 27.08.2021
Am Wegesrand
Nein, eilig sollte man es mit Steve Gunn nicht haben. Kollege Holtmann gab schon beim Vorgängeralbum "The unseen in between" die Empfehlung, diese Platte mit mehreren Durchgängen nach und nach auf sich wirken zu lassen. Da überfiel einen nichts, die Songs gaben sich unprätentiös und bescheiden, offenbarten erst mit der Weile ihre kleinen, köstlichen Details. Der Folk-Rock des Kurt-Vile-Buddies schleicht sich auch auf der neuen Platte "Other you" hintenrum an, schunkelt gemütlich die Gehörgänge entlang und muss gar nicht groß auftrumpfen, um goutiert zu werden. Ein wenig kompakter sind die Songs geworden, nicht immer geht es über fünf oder sechs Minuten. Dennoch scheint Gunn auch hier alle Zeit der Welt zu haben, um seine Stücke zur Entfaltung zu bringen.
Die Akustikgitarre hat es übrigens nicht umsonst aufs Album-Cover geschafft, ist sie doch das stilbildende Instrument von "Other you". Das heißt natürlich nicht, dass ein klimperndes Klavier nicht auch seine Einsatzzeiten bekommen würde, wie im frühlingshaften Titelsong. Obwohl sich Gunn auf recht wenige klangliche Elemente beschränkt, ist das Sound-Bild reichhaltig und voll. Schön, wie seine Stimme über die spielerisch tänzelnden Noten gleitet. Dies hat den Effekt, dass immer etwas aufzublitzen scheint, da eine kleine Pirouette, dort ein helles Blinkern. Da bietet auch ein vordergründig unspektakulärer Country-Shuffle wie "Fulton" ein reizvolles Spiel mit dezenten melodischen Verzögerungen und Verschachtelungen, die man mehr ahnt als konkret registriert, alles eingebunden in einen wohligen Fluss. Und auch hier glitzern wieder die hellen Gitarrentöne im zufriedenen Lichterspiel.
Verschlafen gibt sich Gunn auch gerne, so in "Morning river", welches jedoch seine klare Melodie durch dezent schusseligen Wellengang stabil auf Kurs hält. Um recht einfache Strukturen baut Gunn ein phantasievolles Spiel mit Verzierungen und kleinen klanglichen Ausrufezeichen auf. All dies ist jedoch nie erzwungen, wächst ganz naturlich aus dem grundlegenden Songwriting heraus. Ein luftiger Frauenchor findet in "Good wind" genauso seine wirkungsvolle Verwendung wie kletternde Tonfolgen der Gitarre. "Circuit rider" setzt die langmütige Milde des Gesangs gegen eine rustikale Rhythmus-Gruppe, der lässig-lockere Charakter kann sich an ein stabiles Gerüst andocken. Bei relativ klarer Ausrichtung lässt diese Platte im Kleinen raffinierte Details zum Zuge kommen, die verwirbelten Klänge in "On the way" münden da in einem entspannten Spaziergang mit eindeutiger Ausrichtung. Doch drumherum zerfließen die Töne ins Psychdelische, bevor sie wieder mit mäßiger Strenge eingefangen werden.
Alles auf "Other you" atmet den Willen zur allmählichen Entfaltung, zum natürlichen Wachsen. Es scheint, als ob Gunn oftmals nur einen grundlegenden Rhythmus oder eine leitende Melodie auswirft, um dann zu schauen, was so als Ergänzung und Weiterführung an Land gespült wird. Das kann ein vergnügt hallendes Gitarrenspiel mit lässigem Weitblick sein, wie in "Protection" oder in "Sugar kiss" ein knorriger Bass, der sich von sprudelndem Ambient umgarnen lässt. Schön an diesen Stücken ist, dass man nicht immer voll konzentriert sein muss, um den Geist dieser Musik und dessen Ausprägungen zu erfassen. Es plätschert und wogt halbbewusst dahin und an den Rändern der Wahrnehmung leuchtet es wundersam auf. Die jazzige Einfärbung des Schlagzeugspiels im abschließenden "Ever feel the way" harmoniert dann auch wunderbar als augenzwinkernde Irritation zum weichen Fluss der Gesangsmelodie. Wer sich von diesen Songs umgarnen lässt, kann sich immer wieder über solche klanglichen Kleinigkeiten freuen, die am Wegesrand aufblühen. Manchmal ist Zufriedenheit so leicht zu erreichen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Morning river
- Good wind
- Sugar kiss
- Ever feel that way
Tracklist
- Other you
- Fulton
- Morning river
- Good wind
- Circuit rider
- On the way
- Protection
- The painter
- Reflection
- Sugar kiss
- Ever feel that way
Im Forum kommentieren
saihttam
2024-04-17 00:38:44
Aber wirklich, warum hat der hier so wenig Aufmerksamkeit?! Alben alle klasse und Konzert heute allein mit Gitarre auch super. Sehr einnehmendes und beeindruckendes Gitarrenspiel einfach. Dazu Brigid Mae Power als Support. Träumchen!
Hoschi
2022-10-12 13:00:19
Der Mann kriegt hier viel zu wenig Aufmerksamkeit !
Gerade eben other you beendet und für richtig fein befunden.
Einzig das Thema "Albumcocer" kann man ihm nun das 2. mal vorwerfen
Mit dem Vorgänger hab ich nachwievor songtechnisch meine Probleme, ohne genau zu wissen wieso.
Armin
2021-08-20 21:01:47- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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