Jade Bird - Different kinds of light

Glassnote / Rough Trade
VÖ: 13.08.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Glück auf

Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander. Nicht nur als Schalke-Fan lässt sich ein trauriges Steigerlied davon singen, auch manch britische Songwriterin hat mit diesem Phänomen zu kämpfen. In Interviews klagt Jade Bird gerne über das an ihr angebrachte "Americana"-Label, obwohl ihr mit der – Achtung – "Something American" betitelten Debüt-EP begonnenes Schaffen nun einmal sehr amerikanisch klingt. Auch ihr zweites Album "Different kinds of light" scheint auf dem Papier mit dieser Einordnung nicht gerade auf dem Kriegsfuß zu stehen, ganz im Gegenteil: Aufgenommen in Nashville, produziert von Dave Cobb, der zuvor mit John Prine oder Brandi Carlile arbeitete, und mit einer unironischen Akustikballade namens "Red white and blue" auf der Tracklist stürzt es sich eher mit weit ausgebreiteten Armen in die Prärie. So blüht Bird im frühen Highlight "Punchline" unter dem erdfarbenen Arrangement ihrer Band voll auf, singt wie eine Country-Grande von der Route 305 und schwarzen Sedans. Doch das ist nur ein Bruchstück der Wahrheit, denn die junge Frau hat mit ihrer Beschwerde freilich auch recht: Ihre Musik bleibt zu breit aufgefächert, um sie mit einer einzigen Schublade erfassen zu können.

Das Fundament bildet dabei wie auf der selbstbetitelten ersten Platte wieder energetischer Pop-Rock, der sich mit dezent lärmiger Neunziger-Schlagseite und kompakter Eleganz irgendwo zwischen Fleetwood Mac und Alanis Morissette positioniert. Nach einem kurzen Intro beginnt "Open up the heavens" mit schürfenden Riffs und lässt Birds Stimme im Gipfelsturm auf den Refrain ein paar Mal die Felswand entlangschaben. Mit verzerrtem Bass buddelt "I'm getting lost" in derselben Grube, den größten Punch entwickelt allerdings "Candidate": Über aufbrausenden Saiten rotzt die 22-Jährige ein sarkastisches Prost auf ihre Anziehungskraft auf Arschlöcher aus und klingt dabei wie die in einem Paralleluniversum adoptierte Tochter von Sheryl Crow und Janis Joplin. Selbst solche aufs erste Ohr geradlinigen Zwei- bis Dreiminüter sind stilistisch nicht immer ganz greifbar – sei es das mit Jangle-Gitarren zaghaft in die Achtziger deutende "Trick mirror" oder der Stakkato-Stampfer "Honeymoon" mit seinem straffgezogenen Piano-Garagen-Sound. Das passend getaufte "1994" fährt sogar ein paar windschiefe Feedback-Akzente auf, die auch den frühen Blur gestanden hätten, nur um eine dramatische Bridge zur nächstgelegenen Oper hochzuziehen.

Von der Aufnahme in den legendären RCA-Studios profitieren indes vor allem die ruhigeren Stücke. Birds Gesang bekommt im zärtlichen Titeltrack trotz feingliedrig-komplexer Arrangements viel Raum, während im dynamischen Ohrwurm "Rely on" eine Gitarre auf unheimlich plastische Weise durch die Mittagssonne schneidet. "I'm there for you", singt die Londonerin da und plötzlich ist die Schelmin ganz weit weg, die das Genre mit dem "A" so entschieden von sich weist, nur um sich im Bad der Widersprüche treiben zu lassen. Im herrlich aus der Zeit gefallenen "Now is the time" grüßt sogar der olle Dylan, wenn Bird über akustischen Staubwirbeln und handgespielter Percussion die Lyrics sprudeln lässt: "If I had a penny for all your potential / I'd be left drowning, my mouth full of metal." Die Mundharmonika des Closers "Prototype" überrascht da kaum noch, sondern verpasst dieser reizvollen Platte die perfekte Schleife. Die 2020 veröffentlichte Single "Headstart" hätte es als angepappten Bonustrack da gar nicht mehr gebraucht, sie dient aber vielleicht einfach als letzter Nachdruck, sich nicht auf einen künstlerischen Aspekt festnageln zu lassen. So hat der Steiger sein helles Licht bei der Nacht und Jade Bird eben ihre "Different kinds of light". Am Ende sind alle glücklich – bis auf den Schalke-Fan.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Punchline
  • Now is the time
  • Candidate
  • Rely on

Tracklist

  1. DKOL
  2. Open up the heavens
  3. Honeymoon
  4. Punchline
  5. Different kinds of light
  6. Trick mirror
  7. I'm getting lost
  8. Houdini
  9. 1994
  10. Now is the time
  11. Candidate
  12. Red white and blue
  13. Rely on
  14. Prototype
  15. Headstart (Bonus track)
Gesamtspielzeit: 42:45 min

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Matjes_taet

2023-04-15 21:49:23

..manchmal zahlt sich das übrig geblinene Restvertauen in den Geschmack von moped doch noch aus.

Matjes_taet

2023-04-15 21:27:48

"Rely On" absolut zurecht bei den Highlights.
Der ist mindestens 9/10:

Armin

2021-08-20 20:59:34- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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