Max Richter - Exiles
Deutsche Grammophon / UniversalVÖ: 06.08.2021
Noch mal mit Gefühl
Manchmal könnte man es sich auch einfach machen. Könnte den Leuten sagen, dass sie doch selbst zuhören sollen. Dass sie sich Kopfhörer aufsetzen und an einen ruhigen Ort begeben sollen, um dort auf Play zu drücken, die Augen zu schließen und zu genießen. Damit sie sehen, was man selbst sieht. Fühlen, was man selbst fühlt. Aber dann würde niemand mehr darüber sprechen, weil alle eben einfach nur noch machen würden und das wäre auch nicht gut. Es wäre so einfach zu sagen, dass man sich doch mal anhören soll, was Max Richter da immer wieder und am laufenden Band für großartige Melodien komponiert. Zu einfach. Über Richters Musik zu schreiben ist eine Anstrengung. Über Richters Musik zu schreiben ist auch Erlösung. Weil man sie dann immer wieder hören kann, konzentriert, in aller Ruhe.
Von den fünf Rezensionen, die im Plattentests.de-Archiv über Max Richters Alben existieren, habe ich jede einzelne verfasst. Er ist einer meiner liebsten Künstler, seine Melodien rauben mir den Atem, treiben mir die Tränen in die Augen, lassen mein Herz schneller schlagen, zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Und dennoch stelle ich auch jedes Mal fest, dass jedes Wort, das man darüber schreibt, eigentlich nicht genug ist. Man muss diese Stücke selbst hören, sich von den Arrangements überzeugen, von der Atmosphäre in ganz andere Welten führen lassen. Das ist bei "Exiles", seiner neuen Zusammenstellung, gar nicht anders. Vieles darauf hat man vorher schon gehört, nur etwas anders.
"On the nature of daylight" ist einer der bekanntesten Titel von Richter, er war in mehreren Filmen zu hören. Auf diesem neuen Album, das gar nicht so neu wirkt, hat Richter ihn wie die meisten anderen Stücke überarbeitet, ein Orchester hilft aus. Es bleibt dasselbe Gerüst, wer diese Komposition vorher kannte, erkennt sie sofort. Und doch geht sie anders unter die Haut als in ihrer ursprünglichen Fassung."On the nature of daylight" ist Sonnenauf- und -untergang zugleich, es ist die beruhigende Hand auf der Schulter und der Atem des Antriebs im Nacken. Eine Melodie für die Ewigkeit. Ähnlich wie "Sunlight" vom 2006er-Werk "Songs from before", das laut Waschzettel eines der Lieblingsalben von David Bowie war: Auch diese Sehnsuchtsstimmung ist bekannt, und doch so frisch und aufregend wie eine neue Liebe.
Das eigentliche Highlight auf "Exiles" aber ist "Exiles" selbst, der massive halbstündige Titeltrack, der leider auf den Streaming-Diensten völlig unnötig in verschiedene Teile zerhackt wurde. Dabei muss diese kleine wortlose Geschichte im Ganzen erzählt werden, auf ihre vollen 33 Minuten ausgebreitet, ohne Pause. "Exiles" baut sich auf, Note für Note, aus seiner Sanftheit steigt eine Übermacht empor, eine Dringlichkeit, bis aus einer kleinen lodernden Flamme ein wildes Feuer entsteht, Chaos, Drama, am Ende jedoch fast schon so etwas wie Entrückung. Und dann wird es wieder ruhig, die glühende Asche wärmt nach wie vor, es herrscht wieder Frieden. Soll ich noch mehr dazu schreiben? Oder hört Ihr es Euch nun doch endlich selbst an?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Exiles
Tracklist
- Flowers of herself
- On the nature of daylight (Orchestra version)
- The haunted ocean (Exiles version)
- Infra 5 (Orchestra version)
- Sunlight (Orchestra version)
- Exiles
Im Forum kommentieren
myx
2021-08-20 19:08:33
@Johnny:
Danke schon mal für den Warnhinweis. :) Ich würde mich jetzt nicht als extrem zartbesaitet bezeichnen, aber "Exiles" muss in der vorigen Stunde irgendwas in mir getriggert haben.
Johnny
2021-08-20 18:39:57
Wenn Du bei Exiles schon Beklemmung, Traurigkeit, Wehmut und Sorge empfindest, dann solltest Du dir nie die großartige HBO-Serie The Leftovers anschauen, bei der Richters Musik ein essentieller Bestandteil ist - das Gesamtpaket wird Dir dann nämlich völlig den Boden unter den Füßen wegziehen.
myx
2021-08-20 18:18:48
Ich habe mir die Rezension zu Herzen genommen und endlich mal in ein Album von Max Richter reingehört. Was heisst reingehört, ich bin komplett bei "Exiles" hängengeblieben.
Seltsamerweise hatte ich beim Zuhören eine leichte Beklemmung in der Brust, die ich mir nicht recht erklären kann. Ist es Traurigkeit, Wehmut, Sorge? Ich weiss es nicht, aber die Musik lässt mich jedenfalls nicht kalt.
Ein weiterer Durchgang ist dem Album gewiss. Und dann gäbe es ja noch ein paar weitere Sachen von ihm zu entdecken. Zunächst jetzt aber mal ganz bei "Exiles".
The MACHINA of God
2021-08-19 19:37:41
Schöne, emotionale Rezension. Und das mit dem Titelstück auf den Streamingdiensten ist schon echt nervig, aber wohl ein guter Weg, bisschen mehr Geld von den schwedischen Knausern zu bekommen. :)
Eurodance Commando
2021-08-15 17:39:37
Frech sowas.
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