James McMurtry - The horses and the hounds

New West / PIAS / Rough Trade
VÖ: 20.08.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Orte durch Worte

Das Erzählen von Geschichten bildet eine Konstante in James McMurtrys Schaffen. Schon als Kind konfrontieren ihn seine Eltern mit dem Wert des weitergegebenen Wortes: die Mutter Literaturprofessorin, der im Frühjahr dieses Jahres verstorbene Vater Larry Autor eines der beeindruckendsten Epen über Leben und Sterben im amerikanischen Westen. Sein literarisches Breitwandgemälde "Lonesome dove" versammelt eine solche Fülle an Biographien und Episoden, dass es ein wahres Fest ist. James wiederum trägt seit seinem Debüt vor nunmehr 30 Jahren die Lust und das Ethos des Erzählers ins kompaktere Songformat und bereitet einen Boden aus erdigem Country-Rock, aus dem sich seine Miniaturen erheben. Und die vertreten in bester Outlaw-Tradition immer die Stimme der Schwachen gegen die Mächtigen, werden bevölkert von widersprüchlichen, zerrissenen Gestalten, die darum ringen, bloß nicht noch mehr zu verlieren. Pferde und Hunde spendieren den Titel für McMurtrys erstes Album seit sechs Jahren, sie tauchen darin auf als Symbol des Unsteten, Gehetzten, eines irgendwie unheilvollen Vertrauten.

Texas und die Grenzregion zu Mexiko fungieren seit jeher als ein wesentlicher Schauplatz für McMurtrys Songs, doch aufgenommen wurde "The horses and the hounds" in Jackson Brownes Studio an der kalifornischen Küste. Stilvoll und luftig geraten die Arrangements seiner elf Stücke, als Amalgam aus Westküsten-Rock und bluesigem Südstaaten-Country. Der großartige Opener "Canola fields" steckt gleich voller pointierter Beobachtungen und Ambivalenzen und lässt im Refrain Springsteens Lieblingsangebetete auftreten: "Take my hand, Marie / Take a death grip on some part of me." Eine bittersüße Lakonie kennzeichnet McMurtrys kratzige Stimme, wenn er das Thema zuspitzt: "Cashing in on a thirty-year crush." Ähnliche Perspektiven, die sich aus Zweifel, Scheitern, Altern und viel Humor speisen, lassen "Decent man" im abgewirtschafteten Boden eine Metapher für den eigenen Zustand sehen, doch McMurtry wirkt selten resigniert. Vielmehr üben Songs wie "Operation never mind" eine explizite Kritik am Komplex aus Medien und Militär, die vor beißendem Sarkasmus nicht zurückschreckt: "We just go on about our business / Drop the kids off at the mall / Play the black ops on the laptop."

McMurtrys Band um den fabelhaft vielseitigen Gitarristen David Grisson untermalt seine Texte stets mit feinsinnigem Zusammenspiel, mal abgehangen dahinrockend, dann wieder nachdenklich verzögernd. Die elegische Ballade "Jackie" berichtet von hartem Landleben und einem tragischen Unfall, tastet sich langsam voran und tupft zwischen die Strophen ein schwermütiges Duett in Moll, wenn sich Gitarrenriff und Cello in den Armen liegen. "Vaquero" wird eine gar nicht so getragene Hommage an den 2019 verstorbenen Drehbuchautor Bill Witliff und kippt in einen spanischen Refrain, während der Song zum Tanz bittet. Ein zentrales Thema durchzieht etliche Stücke des Albums: die niemals moralisierende Forderung nach menschlicher Wärme angesichts einer Einsamkeit und Leere, die einen in der kargen Landschaft nicht nur figurativ umgibt. Umso nötiger wird sie, wo jeder kleine Riss einen Abgrund öffnet und jeder Ordnung ihr Bruch eigeschrieben steht. "Faithful's a nice word in Sunday school class / Life's just too crazy for that", heißt es an einer Stelle, doch gelte es gerade darum an einer bedingungslosen Solidarität festzuhalten, die McMurtry auch politisch versteht. Ein Blick, in gleichem Maße un- wie uramerikanisch.

Gegen Ende führt "Ft. Walton wake-up call" noch einmal die verschiedenen Fäden gekonnt zusammen. Das Stück beginnt als lässiger Spoken-Word-Blues über treibendem Beat, dem später einige Soul- und Funkelemente beigemischt werden. McMurtry montiert einen nicht wirklich gelingenden romantischen Kurztrip mit Eindrücken gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit, die beinahe beiläufig reingrätschen. Fox News bekommt sein Fett weg, dann fragt der Erzähler bissig: "How're they gonna build a wall with no Mexicans anyway?" Alles kulminiert in der süffisant wiederholten Hook: "I keep losing my glasses." Hingegen offenbart "The horses and the hounds" viel eher, dass McMurtry seine Brille stets parat hält. Um Geschichten zu sammeln und sich mal empathisch, mal sezierend einer Wirklichkeit zu stellen, die erzählt werden muss.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Canola fields
  • Jackie
  • Ft. Walton wake-up call

Tracklist

  1. Canola fields
  2. If it don't bleed
  3. Operation never mind
  4. Jackie
  5. Decent man
  6. Vaquero
  7. The horses and the hounds
  8. Ft. Walton wake-up call
  9. What's the matter
  10. Blackberry winter
Gesamtspielzeit: 47:23 min

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Eurodance Commando

2021-08-15 17:38:52

Tzzz

Armin

2021-08-15 17:34:01- Newsbeitrag

Frisch rezensiert. Also fast frisch. Ich hab doch tatsächlich am Freitag die Threads vergessen.

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