The Joy Formidable - Into the blue

Hassle / Cargo
VÖ: 20.08.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Randströmungen

Nein, The Joy Formidable sind immer noch nicht die größte Alternative-Rockband der Welt. Ja, wir wissen, es ist die alte Leier – drei der vier vorigen Plattentests.de-Rezensionen zum walisischen Trio fingen so oder so ähnlich an. Doch das Bedauern, warum die drei mit ihrem Sound zwischen Festival-Tauglichkeit und künstlerischem Anspruch nicht wenigstens den Status von Biffy Clyro erlangt haben, weicht nun endgültig der Akzeptanz, ja sogar der Erleichterung: Vielleicht ist das alles ganz gut so. Im Gegensatz zu den erwähnten Schotten um Simon Neil mussten sich The Joy Formidable immerhin noch keinen Stadion-Schmalz aufs Konto schreiben. So versinkt Frontfrau Ritzy Bryan auch im eröffnenden Titeltrack der fünften Platte lieber "into the blue", lässt sich von der Strömung ihrer rauschenden Saiten treiben und konfrontiert auf dem Grund die Unterwassergeister ihrer Vergangenheit: "I go back to the place that we won't go again / To live it over and over."

Tatsächlich verweist jener Song am ehesten aufs Debüt "The big roar" – auch wenn das dazugehörige Badewannen-Video samt Effekt-Overkill damals nicht so recht in die Farbpalette gepasst hätte. Ohne den Maximalismus von "Hitch" oder die Zickzack-Verrenkungen von "Aaarth" konzentrieren sich Bryan und ihre Jungs auf das, was sie am besten können: große Pop-Melodien in lärmige Neunziger-Gitarren zu verpacken, die bei aller Zugänglichkeit nie in die Banalität driften. "Chimes" gelingt das kompakter als dem Opener, sprudelt beständig nach vorne und verliert auch nach einem kurzen Piano-Verschnaufer nichts an Druck. Das ebenfalls vorab veröffentlichte "Back to nothing" beweist besagte Qualitäten auch im Midtempo, entwickelt mit seiner mehrstimmigen Verträumtheit eine leichte Shoegaze-Schlagseite. Merklich schnörkelloser als zuletzt fühlen sich The Joy Formidable in ihrer Nische so hörbar wohl, dass man sich fragt, warum man sie eigentlich ständig aus dieser heraus schreiben will.

Zumal genau diese Existenz an den Rändern des Rock-Mainstreams dafür sorgt, dass sie immer genug Luft für kleinere Überraschungen bekommen. So tritt Bassist Rhydian Dafydd nicht nur für eine halbe Strophe des Titelsongs vors Mikro, sondern darf auch das ätherische Akustikstück "Somewhere new" vortragen. Am anderen Ende der Lautstärke-Skala schleift "Sevier" sirenenhafte Postrock-Gitarren und malmende Beinahe-Metal-Riffs über den Betonboden, die selbst dem Vorgänger zu hart gewesen wären. Wer braucht schon Refrains, wenn man sich einfach mit Gewalt im Hörnerv festkrallen kann? Das hat sich sicher auch "Gotta feed my dog" gedacht, das ebenfalls ohne klassische Hooks seiner ganz eigenen Dramaturgie folgt und gerade in dieser Unvorhersehbarkeit brilliert: Mysteriös flüstert Bryan über einem windschiefen Groove, macht astreinem Griffbrett-Turnen Platz und am Ende heben Streicher alles in den dunkelgrauen Himmel empor.

Trotz solcher stacheligeren Momente ist "Into the blue" unterm Strich sicher das Album, das dem Bandschaffen am wenigsten Neues hinzufügt. Das sollte man wahrlich nicht als Kritik missverstehen: Wer mit Songs wie dem gleichzeitig griffigen wie elegant mäandernden "Interval" einen so hohen Standard an der Schnittstelle von Indie- und Alternative-Rock etabliert hat, darf es sich auf diesem Niveau auch eine Weile bequem machen. Wenn dann noch das sechsminütige "Left too soon" ein sich immer weiter steigerndes, immer wuchtiger getrommeltes Abschluss-Epos aufzieht, das genau die richtige Balance zwischen Pathos und unkitschigem Drama findet, dann fragt man sich endgültig, warum The Joy Formidable nicht jede noch so große Arena dieser Welt fü-… nein, wir fallen jetzt nicht wieder zurück in die alte Leier. Man muss auch mal loslassen können.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Into the blue
  • Sevier
  • Gotta feed my dog
  • Left too soon

Tracklist

  1. Into the blue
  2. Chimes
  3. Sevier
  4. Interval
  5. Farrago
  6. Gotta feed my dog
  7. Somewhere new
  8. Bring it to the front
  9. Back to nothing
  10. Only once
  11. Left too soon
Gesamtspielzeit: 50:28 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2021-12-29 15:57:53

Jahresendbetrachtung:
Eine qualitativ sehr konstante Band liefert mal wieder ein sehr gutes Album. Ihr großes Meisterwerk ist es zwar wieder nicht, aber trotzdem wieder ein Album ohne jeglichen Ausfall und mit ein paar richtig tollen Stücken. 7,8/10

Highlights:
Opener, Sevier (!), Somewhere new, das Finale

The MACHINA of God

2021-09-15 14:45:57

Da sind für mich mit OPener, "All in all" und "Dance of the locusts" drei Karriere-Highlights mit drauf.

Bei der neuen ist neben "The severer" wohl ausgerechnet "Somewhere new" mein Highlight.

ZoranTosic

2021-09-15 14:36:30

Die Aaarth war bei mir damals ziemlich durchgefallen. Läuft jetzt gerade - die hat auch gute Momente, aber in der Gesamtbetrachtung finde ich die schon deutlich schwächer.

The MACHINA of God

2021-09-15 14:31:04

Ja, das Debut finde ich auch minimal besser. Und auch ja, "AAARTH" fand ich etwas kreativer als die neue...

MopedTobias (Marvin)

2021-09-15 14:27:54

Sehe ich ähnlich, wobei das Debüt bei mir schon in Richtung 9 geht und für mich klar ihr bestes ist. "Into the blue" empfinde ich auch eher als kleinen kreativen Rückschritt zum Vorgänger, der näher an der 8 war.

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