Lantlos - Wildhund

Prophecy / Soulfood
VÖ: 30.07.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Ein Fall von Pink

Black Metal? Nichts einfacher als das. Man produziert Songs, bei denen das Schlagzeug ein bisschen zu langsam ist, um wie ein Geräusch zu klingen, schmiert sich Leichenwaschwasserfarbe ins Gesicht, die in der Maschine ganz schlecht wieder rausgeht, und gibt sich Künstlernamen, die mit Dunkelheit oder Höllenfürsten zu tun haben. Lantlôs-Mastermind Markus Siegenhort hingegen nannte sich weitaus poetischer "Herbst" und verschnitt metallisches Brettern und aggressives Gekeife mit lyrischen Naturbildern, um des Dämons Derealisation Herr zu werden – einer psychischen Störung, in deren Verlauf man chronisch die Existenz von Dingen anzweifelt, obwohl man sie vor sich sieht. Inzwischen hat er die Krankheit im Griff, das Zirkumflex aus dem Bandnamen getilgt und schwarz ist auf dem fünften Longplayer so gut wie nichts mehr. Lieblingsfarbe: bunt.

Oder doch pink? Schon das Cover des vor allem im ausladenden Post-Metal verankerten Vorgängers "Melting sun" explodierte kaleidoskopisch, für "Wildhund" posiert Siegenhort mit rosa Sonnenschirm und Glitzer im Gesicht, und das morphende Video zum Opener "Lake fantasy" zeigt eine junge Frau auf pastellenem Untergrund. Kaum eine Spur von Blackgaze, obwohl Alcest-Macher und Ex-Mitglied Stéphane Paut alias Neige zweifellos seine Spuren hinterlassen hat. Zu präzise drapieren sich die Gitarrenschläge um nach vorne gemischte Drums, Keyboards im Schwebezustand addieren ebenso einen Hauch Jenseitigkeit wie irrlichternde Background-Vocals, die den gedoppelten Klargesang umspielen. Als hätten seinerzeit nicht The Futureheads, sondern Deftones "Hounds of love" von Kate Bush gecovert. Selten schöner auf den Hund gekommen.

Doch trotz der zwischen den dichten Lagen aus Sound hervorlugenden, ansatzweisen Lieblichkeit bleiben Lantlos auch auf diesem Album sich selbst und der im Bandnamen festgeschriebenen Rast- und Heimatlosigkeit treu. Wie auf einer Tool-Platte, bei der Maynard James Keenan permanent einen zusammengerollten Zettel mit der Aufschrift "Es ist einfach Rockmusik" im linken Nasenloch hat, windet sich in "Magnolia" und "Home" unablässiges Stakkato-Riffing um getriebene Rhythmusmuster. Dazu beteuert Siegenhort "I just can't wait to get home / I just can't wait to put my heart in their bitter world of thoughts" – weiß aber vermutlich selbst am besten, dass ihn bald wieder der Hafer stechen wird. Oder aber die Andeutung von Double-Bass-Gewitter, die das wunderbar unrunde, stoische "The bubble" kurz vor Schluss aufbegehren lässt. Fürs Protokoll: Meddl.

Was sich nach dem ätherischen Zwischenspiel "Cloud inhaler" nicht grundlegend ändert, auch wenn ein paar elektronische Rumpelstilzchen durchs Bild hüpfen und "Planetarium" gemäß Titel außerirdisch fiepsend infiltrieren, ohne der ausufernden Breite des Stücks etwas anhaben zu können. Nur "Lich" holt ganz zum Ende noch einmal den Uptempo-Holzhammer raus – eine kleine, feine Brachialität als Schlusspunkt eines blitzsauberen Albums voll akkurater Power, angesichts dessen man Siegenhort sofort abnimmt, dass er schon peinlich genau darauf achtete, keine Haltegriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln anzufassen, als Corona noch ein One-Hit-Wonder im Bereich Eurodance war. Und hat da irgendjemand gerade "Pinkgaze" gesagt? Nein? Ausgezeichnet – konstruierte Geschmacklosigkeiten wie diese hätte "Wildhund" nämlich nicht verdient.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lake fantasy
  • Magnolia
  • The bubble
  • Planetarium

Tracklist

  1. Lake fantasy
  2. Magnolia
  3. Cocoon tree house
  4. Home
  5. Vertigo
  6. The bubble
  7. Amber
  8. Cloud inhaler
  9. Planetarium
  10. Dream machine
  11. Dog in the wild
  12. Lich
Gesamtspielzeit: 51:22 min

Im Forum kommentieren

nörtz

2021-12-18 03:14:21

Das Gitarrensolo in Amber oder die zweite Hälfte von Planetarium!

saihttam

2021-10-07 00:54:59

Ich finds auch ziemlich stark. Hatte ja ein wenig Angst, dass die kürzeren, kompakteren Songs verglichen zu denen auf Melting Sun bei mir nicht so zünden, weil ich gerade den ausschweifenden, atmosphärischen Ansatz dort mochte. Aber die Songs sind auf den Punkt gespielt, mit viel Energie und Ideenreichtum. Dazu gibt es trotzdem hin und wieder Platz für atmosphärischere Parts, vor allem Planetarium gefällt in der Hinsicht. Super Platte!

velvet cacoon

2021-08-12 14:43:29

Auf mich macht dieses Album einen ähnlichen grossen Eindruck wie damals die "Sunbather".
Absolute Sommerplatte.
Von vorn bis hinten sind die Songs auf 9/10 Niveau.

Autotomate

2021-07-30 12:08:50

Also die Rezi ist schon mal ziemlich unterhaltsam...

Armin

2021-07-29 20:49:49- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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