
Westbam/ML - Famous last songs, vol. 1
Embassy Of Music / TonpoolVÖ: 25.06.2021
Private dancer
Damals, 1997. Die Sonne scheint. Eine Lindwurm aus schwitzenden Körpern tanzt durch Berlin. Menschen mit Stachelfrisuren und wenig Klamotten am Körper feiern sich selbst und eine Bewegung, die im Zenit steht. Rückblickend stellt 1997 so etwas wie einen Wendepunkt dar. Obwohl erst zwei Jahre später der Peak in Sachen Besucherzahlen erreicht werden würde, markierte die unter dem Motto "Let the sun shine in your heart" firmierende "Loveparade" den definierenden Moment einer Ära. Und mittendrin war ein glatzköpfiger Typ, der sich Westfalia Bambaataa, kurz Westbam, nannte. Ohne ihn wäre das alles wahrscheinlich nie passiert. Im Guten wie im Schlechten. Nach dem Ende seines aktiven Engagements bei dem Techno-Event wurde es stiller um ihn. Seit 2000 sind gerade einmal vier reguläre Studioalben erschienen. Nummer fünf hört auf den Namen "Famous last songs, vol. 1".
Die Grundstimmung des Albums fällt überraschend zurückhaltend aus. Wer sich nach Rave-Brechern sehnt, wird mit "Famous last songs, vol. 1" sicher nicht glücklich werden. Kompetent produziert sind die Tracks selbstverständlich, wobei Westbam sich bewusst auf eher traditionelle Sounds beschränkt. Gerade die Drums erinnern an die gute alte Zeit. Der markanteste Unterschied zu früheren Werken des Wahlberliners ist, dass es diesmal deutlich songorientierter zugeht. Das wird schon beim Blick auf die Gästeliste klar. Gerade mal zwei von zwölf Tracks kommen ohne Feature aus. Die Sänger liefern meist anständige Arbeit ab, so richtig vom Hocker reißt aber nur Marian Gold, dessen herrlich exaltierter Beitrag "Job of dying young" Glanz verleiht.
Inga Humpe scheint hingegen auf Valium gewesen zu sein, als sie "Wasteland" eingehaucht hat. Mit "brav" ist ihr Vortrag noch nett umschrieben. Ähnlich fad ist "C'est la vie", das aufgrund eines prominent vor sich hin dudelnden Akkordeons mit voller Kraft in Richtung Kitsch segelt. Spannender gerät beispielsweise "Amazing", das unterkühlte Klänge mit einer soliden Gesangsleistung von Steve Van Velvet verbindet. Am merkwürdigsten ist sicher "Du schneidest mir mein Herz auf", in welchem Ben Becker sich als romantischer Pathologe versucht. Zu wummernden Bässen sprechsingt er Verse wie "Ich seh' wie Dein Blut fließt / Und Du siehst meins". Was böse hätte danebengehen können, gefällt dank clever eingesetzter Klavierakzente durchaus.
Allgemein fällt auf, dass Westbam den Blick eher nach innen richtet. Einflüsse aus dem Deep House lugen durch den dicht gewobenen Klangteppich, glücklicherweise vermeidet es der gebürtige Westfale, sich an den Zeitgeist anzubiedern. Aus diesem Grund entfaltet etwa "White boy" einen unwiderstehlichen Sog. In diese Richtung hätte es gerne mehr gehen können. Auch das dubbige "Goldelse is burning" weiß zu überzeugen. Grundsolide klingt das alles, aber eben auch ein bisschen nach angezogener Handbremse. Stachelfrisuren hat schon lange niemand mehr. Und die meisten halbnackten Tänzer von damals tragen heute wahrscheinlich sauber gebügelte Hemden oder Blusen. Ein leiser Hauch von Wehmut durchweht "Famous last songs, vol. 1". Der Traum ist aus, aber der Träumer immer noch da. Getanzt wird jetzt zuhause. Aber nicht für immer.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Du schneidest mir mein Herz auf (feat. Ben Becker)
- Job of dying young (feat. Marian Gold)
- White boy (Percy Tech remix) (feat. AfterLife 3000)
Tracklist
- Sky is the limit (feat. The Beloved)
- Amazing (feat. Steve Van Velvet)
- Wasteland (feat. Inga Humpe)
- C'est la vie (feat. Richard Judge)
- Du schneidest mir mein Herz auf (feat. Ben Becker)
- We could be you (feat. Yasha)
- Job of dying young (feat. Marian Gold)
- White boy (Percy Tech remix) (feat. AfterLife 3000)
- Time marches on (feat. Henning Wehland)
- Goldelse is burning (Album dub mix)
- No melody
- No crap (feat. Beccy Boo)
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Ödland
2022-08-21 09:44:51
Unmissverständlich bringt Westbam dieses verlorene Ödland zum Sound.
Bis zur Unkenntlichkeit mit Gurken tätowierte Freaks die nicht mehr wissen ob sie Männlein, Weiblein oder ein aus China eingeschmuggelter Rauhaardackel sind feiern sich selbst bis die Schwarte kracht ohne überhaupt den Sound und dessen Message jemals verstanden zu haben.
Armin
2021-07-06 10:42:49- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Westbam/ML - Famous last songs, vol. 1 (2 Beiträge / Letzter am 21.08.2022 - 09:44 Uhr)