Sweet Trip - A tiny house, in secret speeches, polar equals

Darla
VÖ: 28.05.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Nicht am Ziel

Was wäre, wenn sich Slowdive und Autechre für ein gemeinsames Projekt zusammengetan hätten? Mit diesem Gedankenspiel ließe sich das Schaffen von Roberto Burgos und Valerie Cooper im Grunde wunderbar zusammenfassen – wäre es dem als Sweet Trip bekannten Duo gegenüber nicht ungerecht, seine eigenwillige Mischung aus zweistimmigem Shoegaze, IDM und Indie-Glitch-Pop als stilistisches Gimmick abzuwatschen. Es steckt zweifellos viel Fleisch dahinter und so erlangten die drei zwischen 1998 und 2009 erschienenen und damals kaum beachteten Platten in der darauffolgenden Dekade berechtigten Kultstatus in gewissen Online-Musik-Communities. "A tiny house, in secret speeches, polar equals", das sich zwölf Jahre nach "You will never know why" durchaus als Comeback-Album bezeichnen lässt, begegnet also einer bislang ungewohnten Erwartungshaltung. Und fast wirkt es so, als wären sich Sweet Trip dieser voll und ganz bewusst.

Ein bisschen macht die sperrig betitelte Platte Nummer vier nämlich den Eindruck einer Best Of, die alle Aspekte des bisherigen Bandschaffens in eine kohärente Form gießen will. Dem Opener "Tiny houses" gelingt das sogar in einem einzelnen Song: Aus elektronischen Dissonanzen schälen sich Burgos' und Coopers roboterhafte Vocals, die im Anschluss jede Verzerrung verlieren und mit Fuzz-Gitarren in einen digital verrauschten Shoegaze-Track übergehen. Klar, dass darauf nur der Wellness-Synth-Pop von "Surviving a smile" folgen kann, die überforderten Synapsen brauchen nach dieser atemberaubenden Eröffnung erstmal eine Massage. In diesem Modus bleibt auch das restliche Album weitgehend, denn Sweet Trip bereiten ihre Trademarks merklich zugänglicher und entspannter auf als früher. Auch die Single "Walkers beware! We drive into the sun" eckt mit gemächlich treibendem Beat und Achtziger-Schimmer wenig an, während "You" seine Störgeräusche brav bis ins Outro aufschiebt.

Die konventionelleren Strukturen könnten manche alten Fans enttäuschen, welche die Band vor allem für das Gegenteil schätzten. Doch gerade im unaufgeregteren Songwriting beweisen Burgos und Cooper ihr Händchen für Atmosphäre und wundervolle Melodien. Im Herzen der Platte ragen mit "Eave foolery mill five" und dem herbstlichen "Snow purple treasures" zwei Monumente von Halbballaden hoch, wobei vor allem ersteres mit seiner Klimax auch von Neil Halstead und Rachel Goswell stammen könnte. Beide Stücke strahlen mit einer entwaffnenden Geradlinigkeit, die zuvor auch den grandiosen Groover "In sound, we found each other" prägte. Dazwischen sorgt "Chapters" für Dynamik, das akustisch begleiteten Harmoniegesang so organisch mit nachtwandlerischem Synthwave und in alle Richtungen schießendem Studio-Feuerwerk koppelt, wie es nur die zwei Kalifornier*innen können.

Dem angesprochenen Best-Of-Ethos würden Sweet Trip allerdings nicht gerecht werden, würden sie nicht auch ein paar Wagnisse eingehen. Da ist etwa das psychedelisch verstrahlte Schlaflied "The weight of comfort, this rain is comfort, this rain is you", das mit markanten Drums Strophe-Refrain-Schemata aufbricht. "Randfilt" stampft eine effektreiche Computerlandschaft aus dem Boden und veranstaltet dort einen relaxten Sonnenaufgangs-Rave. Dazu schafft der instrumentale Dreiteiler "Polar equals" das Kunststück, aus verträumten Saiten-Wolken technoide Regentropfen und einen überraschend harten und wuchtigen Rock-Part zu schütteln, ohne dass es allzu konstruiert wirkt. Klar: In seiner Laufzeit von knapp 70 Minuten offenbart "A tiny house, in secret speeches, polar equals" ein paar Mini-Längen und die kreativen Höhen ihres Referenzwerks "Velocity : design : comfort" erreichen Sweet Trip hier auch nicht ganz. Doch dem manchmal etwas gleichförmigen Dreampop-Kosmos tut es sicherlich gut, dass einer seiner eigensinnigeren Satelliten wieder in die Umlaufbahn gefunden hat.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Tiny houses
  • In sound, we found each other
  • Chapters
  • Polar equals

Tracklist

  1. Tiny houses
  2. Surviving a smile
  3. The weight of comfort, this rain is comfort, this rain is you
  4. In sound, we found each other
  5. Chapters
  6. Eave foolery mill five
  7. Snow purple treasures
  8. Come spend the night
  9. Randfilt
  10. You
  11. Walkers beware! We drive into the sun
  12. Zafire melts the heart in modulation
  13. Polar equals
  14. At last a truth that is real
Gesamtspielzeit: 69:21 min

Im Forum kommentieren

hidden

2022-01-07 17:14:51

Schöne Platte. Die beiden Vorgänger sind mir etwas zu bemüht abgedreht, aber das hier ist richtig rund.

Yndi

2021-12-28 09:16:21

Ja, vor dem Album war die Band mir seltsamerweise auch kein Begriff. Klar gab es damals nicht die Ressourcen von heute, aber auch später habe ich eigentlich nirgendwo was von der Band gelesen.

hidden

2021-12-28 09:04:31

Danke fürs Hochholen. Kannte die Band bisher noch gar nicht, obwohl 2003 und 2009 jeweils Nr. 1 in den Jahrescharts bei rym.

Yndi

2021-12-27 21:14:20

Noch gar nichts hier, wie schade. Das Teil ist über das Jahr ordentlich gewachsen. Wunderschöne Mischung aus M83 und Slowdive.

Armin

2021-07-06 10:41:46- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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