Sylvan - One to zero
Gentle Art Of Music / SoulfoodVÖ: 28.05.2021
Life of KI
Eine skurrile Theorie zum Ende der Welt lautet so: Eine Super-KI wird darauf programmiert, die Kreiszahl Pi möglichst genau zu berechnen. Hierfür beansprucht sie logischerweise alle verfügbaren Ressourcen und Energiequellen, absorbiert also ihre gesamte Umwelt, so dass schließlich nichts mehr übrigbleibt. Der Gedanke dahinter ist, dass die Menschheit aufpassen muss, welche Befehle sie einer hochentwickelten KI gibt, damit sie nicht versehentlich ihren eigenen Untergang besiegelt.
Verhindern lassen würde sich ein solches Szenario vielleicht durch eine selbstreflexive KI, die dazu fähig wäre, ein derartiges Problem zu erkennen und abzuwenden. Eine KI also, wie sie Sylvan auf ihrem neuen Album "One to zero" beschreiben. Das Konzeptwerk handelt nämlich von einer künstlichen Intelligenz, die im Laufe ihres Lebens eine Art Identitätskrise durchleidet und dabei hin- und hergerissen ist zwischen der ihr verliehenen Allmacht und der damit verbundenen Verantwortung, die tonnenschwer auf den digitalen Schultern des Algorithmus lastet.
Sylvan selbst können mit dem Druck, das Ganze nicht in einem überambitionierten Unglücksfall enden zu lassen, souverän umgehen. Die 1991 in Hamburg als "Chamäleon" gegründete Band hat mit Alben wie "Artificial paradise" von 2002 und vor allem mit "Posthumous silence" von 2006 schließlich schon hinreichend bewiesen, dass sie sich dank eines ausgeprägten Gespürs für gleichermaßen komplexe wie kompakte Töne auf thematisch tiefgehende sowie stilistisch unterhaltsame Werke versteht. Die dadurch erzeugte Ausgewogenheit kommt allerdings vorwiegend dann zur Geltung, wenn die Elemente gleichwertig ineinandergreifen. Wenn, wie auf dem 2007 veröffentlichten "Presets", die kompakte, also eingängig-poppige Seite dominiert, lassen Sylvan oft Potenzial liegen.
"One to zero" zählt jedoch glücklicherweise zu den ausgeglicheneren Werken. Der KI-Selbstfindungstrip bietet griffigen Artrock mit hoher emotionaler Breite und mit Titeln wie "Part of me" und "Not a goodbye" genug Futter für Prog-Rock-affine Freunde gehobenerer Ansprüche. Trotz des technischen Themas werden allerdings auch die ausgedehnteren Stücke von viel Harmonie und Wohlfühlflair getragen. Mit der Zurschaustellung des Machbaren mancher Genrekollegen haben Sylvan erfreulicherweise nichts am Hut. Großen Anteil daran hat auch der Gesang Marco Glühmanns, der die verschiedenen Facetten der KI-Introspektion auf derart eindringliche Art und Weise rüberbringt, dass der Griff zum Booklet, um noch tiefer in die Geschichte einzutauchen, beinah automatisch erfolgt. Entsprechend entfaltet sich die Qualität des Albums auch erst richtig im Ganzen, so dass es eigentlich wenig Sinn macht, einzelne Lieder hervorzuheben. "Encoded at heart", "Trust in yourself" und "Worlds apart" sind allerdings erlesene Artrock-Hits, die vermutlich auch eine Super-KI als Anspieltipps heraussuchen würde, wann ihr ein Gefühl für musikalische Extraklasse in den Programmcode geschrieben worden wäre. Und schon allein für solche Musik würde sie wahrscheinlich lieber auf die Berechnung von Pi verzichten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Encoded at heart
- Trust in yourself
- Part of me
- Worlds apart
Tracklist
- Bit by bit
- Encoded at heart
- Start of your life
- Unleashed power
- Trust in yourself
- On my odyssee
- Part of me
- Worlds apart
- Go viral
- Not a goodbye
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Armin
2021-06-18 22:05:52- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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