Paul Weller - Fat pop (Volume 1)
Polydor / UniversalVÖ: 14.05.2021
Kaleidoskopische Knappheit
Niemand hätte Paul Weller dafür gescholten, wäre er mit dem Rest der Welt zur Ruhe gekommen. Mit knapp 30 Alben – The Jam und The Style Council inklusive – und einem Kreativhoch im jüngsten Karrieredrittel im Rücken, hätte der 63-Jährige nach seinen aus naheliegenden Gründen geplatzten Live-Plänen auch ohne schlechtes Gewissen zuhause herumlümmeln können. Doch ein Paul Weller lümmelt nicht. Stattdessen kam er auf ein paar mit dem Handy aufgenommene Skizzen zurück, die er mit seiner Band erst auf Distanz, dann im Studio zu seiner 16. Solo-Platte "Fat pop (Volume 1)" formte. Eine Greatest-Hits-Sammlung, wie er das Werk trotz originärer Kompositionen scherzhaft nennt – schließlich enthält es größtenteils kurze, Single-taugliche Tracks, die aufzeigen, was der Modfather so alles aus dem Maßanzug schütteln kann. Nach den guten, aber auch etwas schläfrigen "True meanings" und "On sunset" zündet Weller mit diesem Konzept konziser Stilvielfalt ein neues Feuer der Inspiration.
Man höre allein, wie viele Ideen in den nicht einmal acht Minuten des ersten Song-Tripletts stecken. Mit Synth-Puls und einer roboterartigen Performance zwischen David Bowie und Baxter Dury dreht der Electro-Post-Punk von "Cosmic fringes" jede Tanzfläche auf links. "True" – ein Duett mit Lia Metcalfe von der Liverpooler Band The Mysterines – braucht nur 127 Sekunden, um durch Call-and-response-Strophen zu düsen, in der Saxofon-Lounge zu verschnaufen und mit einem Gitarrensolo die Schleife auf diesen Glam-Rock-Kurzschluss zu setzen. Im gespenstisch groovenden Titeltrack klingt Weller plötzlich wie Damon Albarn und schlendert mit TripHop-Vibe und einer grandiosen Offbeat-Klarinette auch musikalisch in Richtung Gorillaz-Outtake. Selbst das von Tochter Leah mitgesungene und -geschriebene "Shades of blue" kann sich in seinem konventionelleren Piano-Soul-Pop den leicht verstrahlten Mittelteil nicht verkneifen.
Die Abenteuerlust des Eröffnungstrios setzt der Rest des Albums nicht fort, behält aber seine Klasse und auch innerhalb der längst abgesteckten Koordinaten ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit. Aus dem von einer gut aufgelegten Jazz-Flöte angestachelten Gospel-Funk von "Testify" schält sich ansatzlos ein Sax-Solo, während "Moving canvas" arschcoolen Blues-Rock samt Hammond-Orgel nutzt, um Iggy Pop und seinem Medusa-Blick zu huldigen. Sogar die ruhigeren Momente von Wellers Songwriting fransen gerne aus, wenn etwa die akustischen Sixties-Akkorde von "Cobweb / Connections" immer mehr stampfenden Zug gewinnen und Hannah Peel am Ende ein schwungvolles Streicher-Arrangement beisteuert. Auch das wundervolle "Glad times" blüht mit orchestraler Grazie zur farbenprächtigen Nostalgie-Ballade auf.
Doch "Fat pop (Volume 1)" macht mit seiner abwechslungsreichen Hook-Lastigkeit nicht einfach nur viel Laune, es steckt auch Substanz dahinter. "Failed" zeigt unter rhythmischem Vorwärtsdrang und stark verzerrten Saiten keine Scheu vor Selbstkritik: "I'm just a coward when it comes to it." Die tolle Philly-Soul-Verbeugung "That pleasure" nimmt den Fokus von sich selbst und erklärt Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Mit dem Closer-Doppel "In better times" und "Still glides the stream" bekommt die Platte schließlich eine ausschweifendere, nachdenkliche Coda – vor allem ersteres gehört mit seinem Drive, seiner Eleganz und dem warmen Bläser-Sound zu Wellers besten Solo-Stücken. In beiden Songs geht es um künstlerische Beharrlichkeit, um Emanzipation und das Lossagen von Erwartungen: "Do all the things you wanna do / Not all the things that others want you to." Ein Ethos, das der rastlose und nach seinem ganz eigenen Takt lebende Brite selbst längst verinnerlicht hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fat pop
- Glad times
- That pleasure
- In better times
Tracklist
- Cosmic fringes
- True (feat. Lia Metcalfe)
- Fat pop
- Shades of blue
- Glad times
- Cobweb / Connections
- Testify
- That pleasure
- Failed
- Moving canvas
- In better times
- Still glides the stream
Im Forum kommentieren
MopedTobias (Marvin)
2021-06-04 16:40:37
Doch doch, von den tendenziell schwächeren 00er-Alben ist das wohl sein bestes.
Gordon Fraser
2021-06-04 16:05:34
Keine Liebe für "As Is Now"? Mein liebstes PW-Soloalbum (wobei ich nicht alles kenne).
kingbritt
2021-06-04 16:01:32
Etwas off-Topic: Weller hat 1998 ein Album seiner einstigen Background Sängerin produziert. Gefällt mir immer noch recht gut. Und die Handschrift Weller's hör man auch.
Carleen Anderson "Blessed Burden".
NeoMath
2021-06-04 15:26:12
bin bei kingbritt
Selbe Liste!
Hogi
2021-06-04 15:01:04
Wild wood find ich mit Abstand am besten. Die letzten Jahre leider meist nur noch mittelmäßige Alben.
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