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New Order - Education entertainment recreation
WarnerVÖ: 07.05.2021
Histotainment
Déjà-vu: Haben sich New Order vor nicht allzu langer Zeit nicht schon einmal mit einem ausgesucht sperrigen Albumtitel hervorgetan? Bingo, da war doch was. 2019 erschien "Σ(No,12k,Lg,17Mif) New Order + Liam Gillick - So it goes …". Dagegen klingt "Education entertainment recreation" nun zwar ein bisschen wie der Titel eines Aufsatzes von Popkritik-Papst Diedrich Diederichsen, geht aber deutlich leichter über die Lippen. Und man darf die Bestandteile dieses Dreiklangs durchaus buchstäblich und jeweils für sich verstehen: In rund zwei Stunden führt das Live-Album, aufgenommen schon im November 2018 im Londoner Alexandra Palace, durch mehr als 40 Jahre Band- wie Popgeschichte. Grob vereinfacht lässt sich die Musik von New Order ja ebenfalls in drei Phasen einteilen: Die Prä-Phase, als New Order noch Joy Division hießen und mit Ian Curtis am Mikrofon düster dräuenden Postpunk spielten, wird vor allem mit dem Schlusstrio aus "Atmosphere", "Decades" und "Love will tear us apart" abgedeckt. Mit dem Ende von Joy Divison fanden dann Verzweiflung und Entfremdung in den Texten keineswegs ihr Ende, nur wurde die musikalische Oberfläche bunter und vor allem auch elektronischer. Vom frühen Meilenstein "Power, corruption and lies" haben es etwa die beiden Klassiker "Your silent face" und "Ultraviolence" auf die Setlist geschafft. Schließlich wären da noch die Jahre ab dem 2001er-Album "Get ready", als die Gitarren wieder stärker in der Vordergrund rückten und New Order ihren Avantgarde-Status zwar längst eingebüßt hatten, aber mit einigen wenigen Abstrichen weiterhin solide ablieferten.
Das zum Bildungsauftrag. Mit der Neuerschaffung – übersetzt man "recreation" nicht mit dem gängigeren Begriff "Erholung" – verhält es sich etwas diffiziler. Immer schon haben New Order ihre Songs remixed und remastert und in unterschiedlichen Zusammenhängen neu veröffentlicht. Den bereits bekannten Versionen ähneln die Liveaufnahmen von "Education entertainment recreation" in unterschiedlichem Maße. Recht nah am Sound der Originale bewegen sich gitarrenlastige Songs wie "Chrystal" sowie allgemein die Stücke vom letzten regulären Album "Music complete". Dem Material der Joy-Divison-Ära fehlt naturgemäß die markante Stimme und das gesangliche Charisma von Ian Curtis, darüber hinaus klingen sie weniger kühl und hermetisch. Tendenziell am größten fällt der Unterschied bei den Elektro-Pop-Songs aus den 80ern aus, die insgesamt organischer und auch dynamischer aus den Boxen kommen und teils auch neu arrangiert sind. "True faith" ist hier ein gutes Beispiel, wenngleich der Gesang von Bernard Sumner leicht verunglückt ist. Aber auch "Bizarre love triangle" und vor allem "Sub-culture" stehen die zwar merklichen, aber wohl durchdachten Aktualisierungen nicht schlecht zu Gesicht. Parenthese: Wie sich anhand der genannten Songtitel unschwer ablesen lässt, kapriziert sich "Education entertainment recreation" – anders als "Σ(No,12k,Lg,17Mif) …" – ganz auf die erste Reihe und reiht nahtlos Hits aneinander, Wirkliche Überraschung gibt es keine. Selbstredend, dass sich bei dem umfangreichen und hochkarätigen Repertoire über die Auswahl dennoch im Detail streiten lässt. Wie sollte es anders sein.
Schlussendlich: "Entertainment". New Order stehen nicht im Ruf, eine ausgesprochene Live-Band zu sein, zeigten sich an jenem Novemberabend der Aufnahme aber in bestechender Form. Zudem vermittelt die Aufnahme auch einen passablen Eindruck von der Atmosphäre einer Liveshow – und das nicht nur, weil das Publikum etwa bei "Bizarre love triangle" lautstark und gut vernehmbar den Refrain mitsingt. Die Frage, ob es eine solche Veröffentlichung tatsächlich braucht, ist wie immer berechtigt, aber auch ein bisschen öde. Von der Nachhilfe beziehungsweise Auffrischung in Sachen Popgeschichte abgesehen, sind diese zwei Stunden Musik einfach überaus unterhaltsam. Auch, weil New Oder Vergangenheit und Gegenwart hier durchaus spannungsvoll ins Verhältnis setzen. Trotz der über vierzigjährigen Bandgeschichte gewinnt man keine Minute den Eindruck, einer lahmen Nostalgie-Inszenierung beizuwohnen. Die fortschreitende Musealisierung des eigenen Schaffens wird freilich auch "Education entertainment recreation" nicht bremsen, eher ist das Gegenteil der Fall. Andererseits: Wenn eine Formation die Beweihräucherung verdient, dann Joy Division respektive New Order. Und als wären sich Sumner und Co. dessen so bewusst wie sie darüber insgeheim belustigt sind, läuft als feierliches Intro das Vorspiel einer pompösen Wagner-Oper. Humor haben sie also offenbar auch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Regret
- Crystal
- Your silent face
- Sub-culture
- Bizarre love triangle
- True faith
- Decades
Tracklist
- CD 1
- Das Rheingold: Vorspiel
- Singularity
- Regret
- Love Vigilantes
- Ultraviolence
- Disorder
- Crystal
- Academic
- Your silent face
- Sub-culture
- CD 2
- Bizarre love triangle
- Vanishing point
- Waiting for the siren's call
- Plastic
- The perfect kiss
- True faith
- Blue Monday
- Temptation
- Atmosphere
- Decades
- Love will tear us apart
Im Forum kommentieren
Herr
2022-01-19 15:50:07
Gaaanz tolles Album und bestens ins rezensierende Wort umgesetzt.
Armin
2021-06-02 21:28:40- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
oldschool
2021-05-09 09:09:05
Zuerst dachte ich auch "Waaas...wieder ein New Order live Album"?
Letztendlich muss ich aber sagen, dass ich das Album recht gerne und öfters als frühere Live-Alben der Band höre. Das Album hat einen guten flow und einen recht schmissigen Sound. Meienr meinung nach springt hier der Funke mehr über als bei früheren Live Alben.
Auch die Setlist finde ich recht gelungen, klar muss eine Band mit so vielen Klassikern in Ihrer Bandhistorie Abstriche machen.
Und Peter Hook fehlt natürlich zu keiner Sekunde. Hooky war schom immer spooky. Lass den mal mit seiner drittklassigen Joy Division Coverband sein Ding machen...
Mann 50 Wampe
2021-02-11 19:21:43
Ja stimmt schon, wobei die Setlist ganz ok ist, aber mir fehlen da einige Klssiker. Und Peter Hook fehlt auch.
Saschek
2021-02-11 18:54:22
Kann mir leider kaum etwas unspannenderes vorstellen, als ein weiteres New Order-Live-Album.
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