Wincent Weiss - Vielleicht irgendwann

Universal
VÖ: 07.05.2021
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Bieder, Mann!

Jaja, wir haben es schon schwer. Die weitestgehend kulturlose und reisearme Pandemie-Zeit hinterlässt Spuren. Und so erkennt man inmitten des tristen Alltags auf dem Cover von Wincent Weiss' dritter LP das Meer nur im düsteren Mondschein: Das schöne Leben, es liegt im Dunklen. Auch der geliebte Pauschalurlaub ist "Weit weg", nicht nur beim Damen-Kegelclub Gelsenkirchen-Buer herrscht Tristesse, wächst die Sehnsucht. Da braucht es Mutmacher. Dringend. Mut machen, das kann der Wince. "Wer, wenn nicht wir / Wo, wenn nicht hier?" jubiliert Weiss in der nervigen Single "Wer wenn nicht wir" voller Zuversicht, zelebriert dabei jede Menge Ohs, Ahs und Schalalalas und verbrät gleich ein ganzes Bündel an Textzeilen, die schon häufiger durch den Fleischwolf gedreht wurden als Omas Bratenfüllung – die Gute ist immerhin 89 Jahre alt geworden. Dazu ziert der Deutschpop-Vokalist sein Nummer-eins-Album "Vielleicht irgendwann" mit einem kantigen, doppelt-wuchtigem "W" seiner Initialen auf dem Titelbild.

Gar fast mysteriös: Zehn der 15 neuen Stücke beginnen ebenfalls initial mit "W". Warum? Vielleicht, weil auch kleine Kinder früh merken, dass simple W-Fragen der schnellste Weg zur Konversation sind. Wie inhaltlich tief diese geht, steht meist auf der anderen Seite der Medaille. Dass sich im Genre des neuen deutschen Schlager-Pops eben Vieles um Nachdenklichkeit, um Melancholie oder um die Liebe dreht, ist ähnlich überraschend wie der Strauß Blumen zum Mutter- oder Valentinstag. Das dritte Album des 28-Jährigen indes überrascht immerhin in kleinen Ansätzen. Und zwar, wenn Weiss sein bewährt-schmusiges, zartes Piano-Balladen-Konzept mal ad acta legt, um einen Pur-Song in halbwegs modernen Stadion-Pop zu packen wie im Opener, oder sich traut, einen in diesem Kontext direkten, fast kämpferischen Zweiminüter wie "Was habt Ihr gedacht" auf die Platte zu packen.

Aber weder die Indie-Gitarren in "Was weißt Du schon über mich" noch HipHop- und Autotune-Elemente, etwa in "Vergiss mich", oder die Bläser von "Die guten Zeiten" täuschen über biederes Songwriting und die immergleich intonier... ähm, dahergejaulten Refrains hinweg. Dazu suhlt sich Weiss, wenn er nicht das mutmachende "Wir" betont, meist wegen emotionaler Schieflagen (die Frauen!) regelmäßig in Pfützen der Nachdenklichkeit, dass es kaum auszuhalten ist. "Warum ist schon wieder Winter in mir?" fragt der Bravo-Otto-Abonnent sodenn zu zart-rhythmischen R'n'B-Klängen in "Winter", und die Hörer*innen an den Fliesentischen der Republik sind angetan von dieser bewegenden Metapher – ein Song in etwa so authentisch wie die angekleisterten Percussions vom PC. Der Seitenhieb auf vermeintliche Hörer*innen mag ungerecht erscheinen, speist sich jedoch aus der Penetranz der meisten dieser 15 Stücke, die den Eindruck erwecken, als wären die beteiligten Songschreiber froh über jeden noch so erstbesten Refrain, um diesen repetitiv zu Grabe zu tragen. Wer hört sowas?!

Dass man die Alben- und Songtitel sämtlicher Pop-Schlager-Barden in ihrer lexikalischen Blasenhaftigkeit sowieso niemals auseinander halten oder sich merken kann? Dafür braucht es keinen Jan Böhmermann. Weiss brauchte einen Albumtitel, und hat daher den gar nicht mal so schlimmen Schlusstrack auserkoren. Klavierklänge ertönen, Selbstkritik vermischt sich mit zögerlicher Zuversicht – dass man bald nicht mehr alles aufschiebt und Unangehemem davonrennt, wenn man denn einmal – Begriffs-Bausatz: bitte auswählen! – ankommt / erwachsen wird / klarkommt / darüber hinweg ist. Also, ähm: Vielleicht, versteht sich. Und weil sich fast jeder in solch lyrischen Schablonen des Ungefähren wiederfinden kann und das womöglich auch soll, ist "Vielleicht irgendwann" bloß ein weiteres Abbild des Genres: Super bewährt, absolut beliebig, unheimlich bieder. Wir schließen den Kreis im Sinne des Künstlers mit dem Buchstaben "W": Welcome to Germany!

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Weit weg
  2. Was die Menschen nicht wissen
  3. Was habt Ihr gedacht
  4. Wie es mal war
  5. Jetzt nicht mehr
  6. Wer wenn nicht wir
  7. Wo die Liebe hinfällt
  8. Winter
  9. Nur wegen Dir
  10. Die guten Zeiten
  11. Was weißt Du denn schon über mich
  12. Wann
  13. Vergiss mich
  14. Wie gemalt
  15. Vielleicht irgendwann
Gesamtspielzeit: 44:51 min

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Mr Oh so

2021-05-26 17:13:23

Dann hätte er es eigentlich voll durchziehen müssen.

edegeiler

2021-05-21 12:05:34

Von 15 Liedern fangen exakt drei Titel mit einem anderen Buchstaben als W oder V an. Das ist kurios und das einzige, was ich zu diesem Album sagen kann.

GaLiGrü euer Ede

oldschool

2021-05-21 12:01:06

@Automate: okay, ich hatte diese Textzeilen nicht als Lob interpretiert. Mein Fehler ;D

Brüllwürfel

2021-05-20 18:01:35

Wohl kaum doooh

Mr Oh so

2021-05-20 16:47:25

Wann wird es von Wincent Weiss ein richtig gutes Album geben? Vielleicht irgendwann.

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