Brodka - Brut
PIAS / Rough TradeVÖ: 28.05.2021
Ich bin ein Star, lasst mich bloß hier
Mit der Castingshow-Vergangenheit ist das hierzulande ja so eine Sache: Auf den vierten oder fünften Platz bei DSDS folgt, so sicher wie früher das Amen in der Kirche, der Einzug ins Dschungelcamp, mindestens aber auf die Alm oder in den "Big Brother"-Container. Dort können die D-Promis dann zeigen, wieviel tatsächlicher Mensch in ihnen steckt – und sei es nur durch dramaturgisch aufgepimpte, maximal inszenierte Catfights mit den anderen Bewohner*innen, denen eine ähnliche "Karriere" auf den Leib geschrieben wurde. Die Kontinuität der TV-Auswertung läuft noch genauso ab wie zu Beginn der Nullerjahre, wenn ein Sender einen erst einmal in seinen gierigen Fängen hat, und dass sich eine durch einen solchen Werdegang gebrandmarkte Künstlerin im Nachhinein als ernstzunehmende Musikerin entpuppt, bleibt meist Wunschdenken. Es sei denn, man riskiert einen Blick ins Nachbarland Polen, wo Monika Brodka, die im zarten Alter von 16 die polnische Idol-Variante für sich entscheiden konnte, bereits seit mehreren Jahren als Ausnahme die Regel bestätigt. Mit "Brut", ihrem nunmehr fünften Album und dem zweiten in englischer Sprache, überzeugt sie auch noch die letzten Zweifler, dass sie die Maschine endgültig hinter sich gelassen hat.
Schon die Vorabsingle "Game change" erinnert ein bisschen an diese heimlichen Lieblings-Siegertitel des Eurovision Song Contest, die man dann doch geil findet, auch wenn man es niemals zugeben würde. Wenn der oder die Partner*in gerade Popcorn holen ist oder den Sekt kaltstellt, schmettert man inbrünstig "Never be! Ever be, ever be, ever be!" mit. Dass der Song die gerade in Polen noch immer fester als in der hiesigen Gesellschaft verankerten Gender-Normen attackiert, macht ihn nur noch besser. Brodka geht Risiken ein, sowohl inhaltlich als auch musikalisch. Ihr leicht düsterer Elektropop kann nämlich beides: die Masse bezirzen und trotzdem auch aufmerksame Musikliebhaber zufrieden stellen. "You think you know me" bringt ein Indie-Fundament mit Gitarre ins Spiel, das auch abseits von Liebhabern elektronischer Beats gut ankommen sollte. "Fruits" knüpft direkt dort an und ist schon beinahe atmosphärisch-melancholischer und dabei reinrassiger Folk, wie ihn auch Wolf Alice in die Mitte ihres Genre-Hoppings packen würden.
Das Glanzstück von "Brut" aber markiert "Chasing ghosts", in dem Brodkas Stimme sämtliche Register zieht und winselt, leidet und klagt, als gäbe es kein Morgen mehr. Diesen zerrissenen Fünfminüter bekäme selbst der hartnäckigste Plattenboss nicht im Formatradio unter. "Falling into you" geht die Sache entspannter und organischer an: Gegen dessen klassisch-harmloses Arrangement sind die etwas wilderen Synthies in "Hey man" schon beinahe böser Industrial, die dezent aggressiveren Vocals Geschrei und die Gitarre Punk. Brodka, die sich hier beim analogeren Sound ihrer Vorgängeralben bedient, dreht den Mainstream halt gerne ein bisschen auf links, und nirgends wird das deutlicher als hier. Demzufolge steht am Ende der Platte keine todtraurige Quotenballade zu befürchten, mit der sich im nächsten Idol-Finale der tragische Einspieler über die fingierte Krebserkrankung eines Elternteils untermalen ließe – "Sadness" ist nämlich gar nicht so sad, wie der Titel behauptet. Und so schaut Monika Brodka durchaus optimistisch in die Zukunft. Warum sollte sie auch nicht? Ihre Gratwanderung zwischen Crowdpleasing und künstlerischer Offensive gelingt auf ganzer Linie. Und von einem polnischen Dieter Bohlen ist zum Glück auch weit und breit nichts zu sehen. Was macht eigentlich Alexander Klaws heute?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Game change
- You think you know me
- Fruits
- Chasing ghosts
Tracklist
- Come to me
- Game change
- Hey man
- Imagination
- Falling into you
- You think you know me
- Fruits
- In my eyes
- The world is you
- Chasing ghosts
- Sadness
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Armin
2021-05-19 21:27:21- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Brodka - Brut (1 Beiträge / Letzter am 19.05.2021 - 21:27 Uhr)