Emirsian - Lezoon
Hayk / CargoVÖ: 21.05.2021
Bilinguale Melancholie
Authentizität. Egal, ob Topmodel, Politiker*in oder Fußballer – alle schreiben sich diesen Begriff auf die Fahnen. Mittlerweile ist er so maximal ausgelutscht, dass man ihn nicht mit der Kneifzange anfassen möchte. Aber wie beschreibt man dann Aren Emirze? Seit einer gefühlten Ewigkeit ist der ehemalige Harmful-Sänger in der alternativen deutschen Musikszene unterwegs und scheint immer genau das zu machen, wonach ihm gerade ist. Diverse längst aufgelöste Bands und Projekte pflastern seinen Weg, sein Singer-Songwriter-Alias Emirsian ist geblieben und mit "Lezoon" erscheint der mittlerweile vierte Longplayer.
Musikalisch bleibt sich Emirze auf diesem treu, die Mischung aus Indie-Folk und armenischer Folklore hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Experimentierfreudiger wird es diesmal beim Gesang. Der Albumtitel heißt übersetzt "Sprache" und die spielt wie immer eine zentrale Rolle. Die armenische und, das ist neu, die deutsche. Nach seinem deutschsprachigen Projekt mit dem Frankfurter Musiker Chima in 2018 ist das keine Überraschung. Gleichzeitig verabschiedet sich Emirze jedoch fast komplett vom Englischen und das ist schade. Einzig das vorab veröffentlichte "End of time" ist geblieben – und ausgerechnet da singt sein langjähriger Wegbegleiter Aydo Abay. Wahnsinnig schön ist das, Blackmail-Fans der ersten Stunde packt die Wehmut. Bei den Vorgängeralben sorgten die englischen Stücke für einen willkommenen Kontrast zu den schwermütigen armenischen – was die deutschsprachigen Songs auf "Lezoon" leider nicht leisten können.
Seltsam entrückt klingt es, wenn der gebürtige Hesse in seiner Muttersprache singt. Was bei "Zerschlagenes Herz" und "Lichtjahre" gut funktioniert, wirkt bei "Einer von uns" angestrengt und holprig: "Einer von uns ist bestimmt nicht hier / Entweder Du oder aber ich." Da Emirze mit "Lezoon" auch die Trennung von seiner Partnerin verarbeitet, ist die Grundstimmung melancholisch. "Yerp bidi kidnas" wirkt in diesem Kontext beinahe beschwingt, "Gouzem" hingegen kämpferisch. Stimmungen konnte Emirsian schon immer gut transportieren, sodass man die Texte nicht zwangsläufig verstehen muss. Für "Verchin toure" überlässt Emirsian dem prominenten Feature Serj Tankian von System Of A Down die Bühne: Beide thematisieren schon lange öffentlich den Genozid an den Armeniern, der dieses Jahr erstmals durch einen amerikanischen Präsidenten als Völkermord anerkannt wurde. Der gemeinsame Song handelt zwar nicht von diesem Thema, trotzdem liegt eine schöne Symbolkraft darin, dass es gerade jetzt mit der Zusammenarbeit geklappt hat. Als dritter Gast singt Arens Tochter Veron auf dem abschließenden "Wolken" darüber, wie sehr sie ihren Vater nach der Trennung der Eltern vermisst. Persönlicher geht’s kaum.
Wem Emirsian mittlerweile zu sehr Volksmusik ist und wer sich den lauten Emirze aus Harmful- und Taskete-Zeiten zurückwünscht, kann immerhin auf sein nächstes Projekt Musa Dagh hoffen: Am Mikrofon steht Aydo Abay, und Blackmail-Fans der ersten Stunde packt die Vorfreude. Am Schlagzeug sitzt Thomas Götz von den Beatsteaks und Produzent Moses Schneider ist ebenfalls mit von der Partie. "Supergroup" möchte man schreiben. Wäre der Begriff nicht so maximal ausgelutscht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Lezoon
- Yerp bidi kidnas
- End of time
Tracklist
- Zerschlagenes Herz
- Ov der
- Lezoon
- Gouzem
- Lichtjahre
- Einer von uns
- Yerp bidi kidnas
- Verchin toure (feat. Serj Tankian)
- End of time (feat. Aydo Abay)
- Wolken (feat. Veron)
Im Forum kommentieren
The MACHINA of God
2021-05-22 15:32:12
Schönes, ruhiges Album. Wäre schön wenn es Dank Serj etwas mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Armin
2021-05-12 21:57:01- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
8hor0
2021-05-10 11:50:22
klingt alles sehr schön. vorfreude! :)
Armin
2021-05-07 19:03:17- Newsbeitrag
Mit "Lichtjahre" hören wir Aren Emirze in deutsch, wie es dazu kam, erklärt er selbst:
"Vor acht Jahren habe ich damit angefangen, mit Moses Schneider zusammen deutsche Songs zu schreiben. Bei einer dieser Sessions sah ich bei ihm diesen Text herumliegen von Tobias Friedrich, der mit Moses zusammen in der Band Husten spielt. Ein Text, der mich auf der Stelle sehr berührt hat, auch aufgrund der Trennungs-Thematik. „Wir sind Lichtjahre voneinander entfernt“ – genau so empfand ich damals. Deshalb fragte ich Tobias, ob ich ihn benutzen und mit einem Song unterlegen darf, und er willigte ein. Es gibt auch von Husten einen Song mit diesem Text, aber ich habe meinen Song dazu geschrieben, bevor ich ihren überhaupt hören konnte. Und es ist erstaunlich, wie extrem unterschiedlich die Songs geworden sind, und doch funktionieren beide auf ihre Weise ausgezeichnet, weil sie jeweils die Gefühle des Sängers, die in diesem Text transportiert werden, sehr intensiv widergeben."
Peacetrail
2021-04-25 20:09:19
„Was meint ihr, warum es mit dem Erfolg nie geklappt hat?“
Fehlender Vertrieb, nicht durch Videos gehypt (gab es Anfang der 2000er noch MTV?)
Aber auch Pech oder so. Wenn man auf Taskete guckt, da war doch ein Spochtsfreund bei, hat trotzdem keiner gehört.
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