Vanessa Peters - Modern age

Idol / Cargo
VÖ: 23.04.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Melodien für 45.000

Drei Fakten, die vielen bekannt sind, vielen nicht und andere gar nicht erst interessieren: "Torn" ist gar nicht von Natalie Imbruglia, sondern eine Coverversion von Ednaswap. Es lohnt sich manchmal, auf Links zu klicken, die man eigentlich nicht klicken sollte. Und: Der Autor hat seit mehr als drei Jahren keine Rezension für Plattentests.de verfasst, sondern nur Abertausende von Organisationsmails. Und reihenweise leidlich lustige Newsletter. Wie all das zusammenhängt?

Mit den "Links, die man eigentlich nicht klicken sollte" sind jetzt nicht unbedingt irgendwelche von guten Freunden aus einem fernen Land gemeint, die mehrere Millionen zu verschenken haben und dafür gar nicht viel wollen. Nein, wer hundertfach Mails von Plattenfirmen und Agenturen mit neuem musikalischen Material kriegt, kann natürlich nur sehr selektiv in neue Songs reinhören. Für alles andere als einen zuckenden Linke-Maustaste-Finger sorgt dabei, wenn ein Act schon ewig Musik macht, aber noch nie richtig durchgedrungen ist. Das ist bei Vanessa Peters der Fall – sie hat bereits mehr als zehn Alben veröffentlicht. Trotzdem sprang der Autor dieser Zeilen im Februar 2021 irgendwie auf den angepriesenen Vorab-Song "Crazymaker" an. Das Resultat: hinreichende Begeisterung, um den Plattentests.de-Chef zur ersten selbst verfassten Rezension seit den "Vergessenen Perlen 2017" zu motivieren.

Denn "Crazymaker" ist einerseits ein riesiger Hit. Mit seinen klimpernden "There she goes"-Gedächtnis-Gitarren, mit dem unaufgeregt-einnehmenden Gesang, mit dem Chorus, der auch nach Dutzenden Durchläufen nicht langweilig wird. Doch "Crazymaker" ist andererseits kein riesiger Hit. Magere rund 45.000 Aufrufe stehen nach acht Wochen bei YouTube fürs Eindeutig-Low-Budget-Video zu Buche und 4.700 Plays bei Spotify (davon gefühlt die Hälfte aus München). Vanessa Peters fehlt vielleicht der Glamour einer Natalie Imbruglia im "Torn"-Video. Aber eigentlich könnte man jedes Radio-Airplay dieses verdienten Klassikers ab sofort durch "Crazymaker" ersetzen, und es wäre nichts verloren. Peters' Homepage gibt als Einflüsse tatsächlich Liz Phair, Spoon, Foo Fighters, LCD Soundsystem und die Neunziger-Smashing-Pumpkins an. Und will – bis auf die treffende erste Referenz – "Modern age" zu etwas anderem machen, als es ist. Nennen wir es ein richtig starkes und richtig stark gestriges Pop-Rock-Album ohne auch nur einen einzigen Ausfall, dafür mit präziser und unaufgeregter Singer-Songwriterinnen-Kunst. Und mit Melodien für Millionen, die bisher leider nur wenige Tausend hören wollen.

"Modern age" hat die Texanerin mit ihrer Band in einem Bauernhaus in Castiglion Fiorentino aufgenommen. In dem italienischen Städtchen hatte Peters schon vor vielen Jahren mal gelebt. Und fand sich ungeplant erneut dort wieder: Nach einer Europa-Tour flog sie 2020 – die Gründe dürften klar sein – nicht wie angedacht zurück nach Texas zum South By Southwest und den anschließenden Album-Aufnahmen, sondern verlagerte die Sessions mit ihren italienischen Bandkollegen kurzerhand in die Toskana. Es entstanden elf Stücke, die daran erinnern, dass "gefällig" eigentlich ein positives Attribut ist.

Schon der Opener "Modern age" zeigt mit den "Früher war vieles besser"-Lyrics, dass diese Platte irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Und klingt wie ein krisseliger Lieblingsfilm aus den Neunzigern, als man bei "HD" noch zuerst ans Heidelberger Autokennzeichen dachte. Bei "The band played on" mit seinen Paukenschlägen wähnt man sich etwa in einer halbvollen Bar in der amerikanischen Prärie, in der die Band auf der Bühne mehr Mitglieder zählt als Zuschauer. Obwohl sie so gut ist. "Just take a deep breath and go outside", singt Peters dann im Closer "Still got time", scheinbar tiefenentspannt. Als ob sie sich gewiss ist: Auch mit 40 Jahren kann man noch den Durchbruch schaffen. Oder zumindest endlich größere Wertschätzung erfahren, wenn man einen Song wie "Crazymaker" und ein Album wie "Modern age" vollbracht hat. Der Rest liegt an anderen.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Modern age
  • Crazymaker
  • The band played on

Tracklist

  1. Modern age
  2. Make up my mind
  3. Crazymaker
  4. Valley of ashes
  5. Hood ornament
  6. The band played on
  7. Never really gone
  8. The weight of this
  9. Yes
  10. The try
  11. Still got time
Gesamtspielzeit: 39:43 min

Im Forum kommentieren

Andreas

2021-07-28 17:59:08

Seicht im positiven Sinn. Crazymaker finde ich nicht so toll wie die meisten hier, wäre da eher bei The weight of this und The band played on als Anspieltipps.

Kalle

2021-07-28 17:15:52

Nochmals beim Joggen gehört. Weiterhin ein sehr entspanntes und schönes Album. Allerdings beginnt es leider mit den beiden schwächsten Stücken. Wer es nochmal probieren will, sollte mit Crazymaker anfangen.

jo

2021-05-16 18:51:14

Vergleiche sind sowieso unnötig. Und was bedeutet schon "zeitgemäß", wenn es um Musik geht? Für mich alles komplett irrelevante Gedanken, wenn die Musik für mich passt.

Kalle

2021-05-16 08:55:10

Das Album von Frau Simpson ist sicherlich auch gut, aber ein Vergleich mit Vanessa Peters verbietet sich hier. Während Vanessa Peters in Richtung Sommer-Pop-Rock a la Sheryl Crow geht, ist LB Simpson wesentlich dunkler und erinnert mich ein wenig an Black Box Recorder.

Beides hat seine Berechtigung. Und wenn man nur noch "zeitgemässe" Musik hört, dann dürfen wir keine Beatles, Dylan, Neil Young etc. hören?

smrr

2021-05-15 21:49:30

Ich kann auch nicht nachvollziehen, was an Vanessa Peters Musik hörenswert ist - erachte das auch für belanglos und wenig zeitgemäß.

Empfehle hier Leanne Betasamosake Simpson. Eine kanadische Songwriterin, die aber eher in Richtung Arab Strap geht. Ansonsten treffen sicherlich auch viele Prädikate der Musik von VP zu - aber mit deutlich interessanterem Songwriting und interessanteren Melodien. Finde das Album besonders zum Ende hin super.

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