Mine - Hinüber

Caroline / Universal
VÖ: 30.04.2021
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Verfall und Remmidemmi

Es war nicht immer alles nur Spiel und Spaß: Mit leicht bitter schmeckenden Downern hat HipHop-/Pop-Künstlerin Jasmin Stocker aka Mine schon früher experimentiert und auch mal einen ungeschönt-kritischen Blick auf die Welt um sie herum geworfen. Auf ihrem vierten Album "Hinüber" aber sind wir von vornherein nun alle des Todes: Im Titeltrack thematisiert sie den nicht mehr aufzuhaltenden Untergang – von Ökosystemen, Beziehungen, der Menschheit. Anklagende Violinen und finstere Drums liefern dazu den passenden, bedrohlichen Hintergrund, und später schaltet sich eine aufgebrachte Sophie Hunger dazu, um zusammen mit Mine bittere Tränen in das "Meer aus Plastik" zu vergießen. Ein Weckruf sondergleichen und ein alarmierender Auftakt – für eine durchwachsene Platte.

"Kein Pandemiealbum" habe sie schreiben wollen, sagt Mine, trotz aller Tristesse, mit der "Hinüber" aufwartet. Die Skepsis bleibt, denn auch in Sachen Privatangelegenheiten verharren die Lyrics der Wahl-Berlinerin im Frostmodus. Wirklich mitreißend sind die an den Opener anschließenden "Bitte bleib" oder "KDMH" mit seinem perkussiven Elektrobeat leider nicht, winden sich aber weiterhin in der unbequemen Grundstimmung. Gegen all dieses Elend ist der folgende Abgesang auf miesen Musikgeschmack, "Audiot", tendenziell harmlos. "Du magst Scheiße, doch es ist schon okay" – ach, na dann. Die Spoken-Word- bzw. Rap-Parts der Feature-Gäste Dexter und Crack Ignaz sind da schlagfertiger und witziger, denn da sind alle Otto-Normalhörer*innen schon längst "am Musikgeschmack gestorben".

So wenig überzeugend die oben erwähnten Stücke, so schlicht und ergreifend gut umarmt "Mein Herz" den Pop, beginnt reduziert, aber endet hymnisch. Darf Mine – oder irgendjemand – sich solche ausgelutschten Streicher und den elendigen Reim auf "Schmerz" überhaupt erlauben? Aber sicher, wenn schon die große Pop-Ballade, dann auch nach allen Regeln der Kunst. Da muss sie besagten Reim gar nicht elektronisch verfremden. "Elefant" bittet gleichermaßen ohne Rücksicht oder Schamgefühl zum Tanz mit den leicht verführbaren Synapsen, diesmal im Gewand eines falsettgetränkten Funk-Hüpfers. Steht Mine ihre selbst auferlegte Sperrigkeit nicht im Weg, gelingen ihr die herausragenden Songs – eine Kategorie, die das gedämpft-schwermütige "Tier" somit knapp verpasst.

Die übrigen fluffigen Songs des Albums wie das zuckersüße "Eiscreme", bei dessen Genuss einem nicht nur einmal "Price tag" von Jessie J in den Sinn kommt, oder "Lambadaimlimbo" mit seinem bekloppten Text und Flamenco-Einfluss (!) lockern zwar das Gesamtgefüge, verblassen für sich allein genommen aber im schattigen Tenor des Albums. Am Ende ist die Welt nach wie vor ein "Unfall", egal, wie viel Eisdielen sich vorher haben aufzählen lassen, und "Hinüber" ein zweischneidiges Schwert: Wie eine weniger hippieske und sauberer singende Judith Holofernes widmet Mine sich kommentierfreudig der Alltagsbeobachtung und Sozialkritik. Im direkten Vergleich zur vierten, ähnlich grau eingefärbten Helden-Platte aber hat sich leider auch ein wenig Durchschnittsware auf "Hinüber" geschmuggelt. Schade, denn Popmusik mit Inhalt und Köpfchen kann man doch immer gebrauchen – im Angesicht der nahenden Apokalypse vielleicht sogar mehr als jemals zuvor.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hinüber (feat. Sophie Hunger)
  • Mein Herz
  • Elefant

Tracklist

  1. Hinüber (feat. Sophie Hunger)
  2. Bitte bleib
  3. KDMH
  4. Mein Herz
  5. Audiot (feat. Dexter & Crack Ignaz)
  6. Eiscreme
  7. Lambadaimlimbo (feat. José)
  8. Elefant
  9. Tier
  10. Unfall
Gesamtspielzeit: 33:48 min

Im Forum kommentieren

Outrun

2021-05-11 20:34:50

Ich feiere gerade das Video zu "Elefant". Sieht so gut aus. Der Song ist ein absoluter Hit.

fakeboy

2021-05-01 14:21:59

Schlimme Stimme - ne danke

Edrol

2021-05-01 14:02:47

Sehr guter deutscher Pop, das mit dem schweren "Hinüber" gleich eindrucksvoll beginnt. "Mein Herz" erzeugt Gänsehaut und "Elefant" ist ein fieser Ohrwurm. Sogar einen Kandidaten für meinen persönlichen Sommerhit des Jahres hat Mine auf die Platte gepackt: "Eiscreme". 7,5/10

Armin

2021-04-21 20:29:33- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Unangemeldeter

2021-02-10 23:46:25

Heute zum ersten Mal die Single gehört und sehr positiv überrascht worden. Mag das Debüt sehr, konnte mit den Nachfolgern nicht viel anfangen, das hier kommt wieder viel eher bei mir an - was vielleicht einfach an der düsteren Stimmung liegt.
Neben dem Song finde ich auch das Video stark, guter Einfall toll umgesetzt.

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