Parannoul - To see the next part of the dream
BandcampVÖ: 26.02.2021
Monument des Moments
"Just a student writing music in my bedroom." Als Parannoul diese Worte in seine Bandcamp-Bio eingab, konnte er sicherlich nicht erahnen, was für einen Impact seine Schlafzimmer-Aufnahmen auf die digitale Welt ausüben würden. "To see the next part of the dream", das zweite Album des in Seoul lebenden Ein-Mann-Wunders, erfuhr einen solchen Hype in den Musiknerd-Communities des Internets, dass es zum Zeitpunkt dieser Rezension immerhin auf Platz vier der Rateyourmusic-Jahrescharts steht. Das erstaunt in zweierlei Hinsicht. Zum einen aufgrund der absoluten Anonymität Parannouls, dessen Selbstbeschreibung nicht über ein paar lose Einflüsse, Wünsche und Schelten seiner eigenen "awful singing voice" hinausgeht. Zum anderen, weil die extreme Lo-Fi-Produktion der Platte – die tatsächlich so klingt wie von einem Amateur mit Gitarre und MIDI-Presets nachts im Elternhaus aufgenommen – gewiss auch eine Hürde für Leute darstellt, die sich ansonsten gar nicht als große Klangpuristen bezeichnen würden. Doch der ästhetische Dilettantismus verbirgt nicht einfach ein modernes Shoegaze-Meisterwerk, er ist für dessen rohe emotionale Wirkkraft nicht weniger als essenziell.
So schüchtern Parannoul selbst auftritt, so ambitioniert und überbordend zeigt sich seine Musik. Über exakt zehn Minuten schichtet "White ceiling" Feedback-Wolken, übersteuerte Drums und kaum vernehmbaren Gesang zusammen, bis daraus ohne nachvollziehbaren Spannungsaufbau ein hymnisches Finale emporsteigt. Die Songs geraten trotz ihrer Länge nie langweilig, weil sie stets unerwartete Wendungen nehmen und unter dem Krach wundervolle melodische Akzente setzen. Das himmelblaue Piano des Openers "Beautiful world" vermischt sich mit dem Grau unter Strom stehender Gitarren, die sich in hämmernden Unwetter-Passagen entladen. Der Titeltrack lässt zartes Akustikzupfen in einem synthetischen Neutronenstern verglühen und selbst an einer kleinen Ballade wie "Extra story" zieht gefühlt das ganze Universum vorbei. "Chicken" weiß indes um die Sogkraft der Repetition, wenn sich seine zirkelnden Riffs immer tiefer in den stoischen Rhythmus hineinbohren. Die Referenzen sind klar erkennbar, doch Parannoul bereitet sie mit einer so eigenen Perspektive auf, dass das weitflächige Ausbuddeln dieses in den Untiefen von Bandcamp vergrabenen Juwels immer weniger surreal erscheint.
Dennoch fällt es schwer, die Faszination hinter dem Album zu pointieren. Eine Flut abstrakter Sehnsüchte überwältigt einen beim Hören, die sich kaum konkret artikulieren lassen. Das gilt auch für die Tracks, die sich in entfesselter Form näher an Emo und wuchtigem Post-Rock entlangbewegen, wie etwa "Excuse" mit seinem luftdicht verschlossenem Beckenscheppern. Die beste Balance zwischen Härte und melancholischer Schwebe findet "Age of fluctuation", wenn magmabeladene Saiten auf federleichte Tasten treffen und auch in den Vocals alle Dämme brechen. Und noch haben wir überhaupt nicht über die Uptempo-Großtaten "Analog sentimentalism" und "Youth rebellion" gesprochen, die problemlos Menschenmassen in selige Ekstase versetzen könnten – wenn es denn irgendwann wieder möglich sein und, vor allem, wenn Parannoul aus seinem selbstgewählten Öffentlichkeits-Versteck treten wird. In eingangs erwähnter Bandcamp-Beschreibung formuliert er den Wunsch, erinnert zu werden und nicht zu einer der distanten Erinnerungen zu verkommen, die seine Musik speisen. Trotz aller Qualität und Substanz lässt sich letzteres Schicksal bei der Schnelllebigkeit des digitalen Zeitalters leider nicht ausschließen. Doch ein solches Monument des Moments, wie es "To see the next part of the dream" darstellt, wird ihm niemand mehr nehmen können.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Analog sentimentalism
- Age of fluctuation
- Youth rebellion
Tracklist
- Beautiful world
- Excuse
- Analog sentimentalism
- White ceiling
- To see the next part of the dream
- Age of fluctuation
- Youth rebellion
- Extra story
- Chicken
- I can feel my heart touching you
Im Forum kommentieren
Eliminator Jr.
2023-02-05 20:32:08
Das ist ja nicht trotz rudimentärer Produktion überwältigend gut, sondern gewinnt ja auch gerade dadurch seinen eigenständigen, rohen Charakter. Das neue Album macht mir das leider nochmals bewusst. Das ist im Vergleich zwar glasklar und gut produziert, im Endeffekt aber leidlich öder Crescendocore, der alle Besonderheiten und die meisten Qualitäten des Vorgängers rausgeworfen hat.
etienoir
2023-02-05 20:30:19
sorry, jetzt war ich zu schnell. anderer thread also. hier bitte weiter mit parannoul.
etienoir
2023-02-05 20:28:53
zu deinem ambient-projekt (die beiden neuen singles): ambient ist schon eher das genre, das meinen hauptgeschmack trifft. wenn ich selbst etwas schaffen könnte, wäre es zunächst wohl in diesem bereich. weil ich sehr viel ambient höre, habe ich allerdings auch einen sehr differenzierten geschmack entwickelt, und den bedienst du leider auch nicht wirklich. zunächst mal halte ich es für eine besondere kunst, die elektronisch erzeugten klänge paradoxerweise doch irgendwie organisch klingen zu lassen (womit ich nicht diesen meist oberflächlichen neoclassical-kram meine). exoplanet zb klingt mir da viel zu synthetisch, viel zu sehr nach synthesizer, auch wenn ich die grundidee für spannend und interessant halte. auch mag ich es grundsätzlich lieber flächiger-droniger. einzelne töne sollten im anschlag nicht zu sehr herausstechen, sondern sanfter ineinanderübergehen, finde ich. aber wie gesagt - irgendwie reizvoll finde ich das stück schon. out of scope trifft meinen geschmack auch nicht wirklich (mal als beispiel: ich bin großer fan von vielem, was auf n5md veröffentlicht wird oder so'm zeuch wie warmth), aber mir gefallen stimmung und melodie. bei der etwas nach orgel klingenden zweiten spur bin ich allerdings ein wenig ratlos. es spricht mich auf jeden fall auf eine gewisse art an, aber irgendwie erinnert es mich doch auch an unzählige ähnliche projekte bei bandcamp, die sich meist mit dungeon synth taggen. auch bei denen weiß ich meist nicht so genau, ob mir das gefällt. wie auch immer - fazit auf jeden fall: als the sorsh werd ich dich auf jeden fall mal weiter verfolgen :)
Old Nobody
2023-02-05 20:27:19
Danke, alles gut. Lass das aber besser in diesem Thread weiterführen,weil das hier ja eigentlich nicht reingehört^^
https://www.plattentests.de/forum.php?topic=97422&seite=1
etienoir
2023-02-05 20:26:41
zu deinem hauptprojekt (album von letztem juli): du vermagst oftmals eine ziemliche dichte zu erzeugen. und va gelingt es dir sehr gut, diesen verhaltenen ton, der im postrock beim songaufbau meist vorherrscht, sehr gut zu treffen. die katharsis fehlt mir dagegen etwas bzw könnte druckvoller ausfallen. scheint mir auch so, dass du lieber auf langsame steigerungen setzt als auf plötzliche ausbrüche. ich halte beides für adäquate stilmittel. allerdings halte ich postrock für grundsätzlich einerseits ein leichtes genre - man kennt die stilmittel hinsichtlich sound, atmosphäre und arrangements, andererseits eben deshalb auch ein schwieriges genre, denn es ist (zumindest für mich) weitgehend auserzählt. da noch etwas wirklich bedeutendes hinzuzufügen, scheint mir nur schwer möglich. tja, und auch wenn du sehr kreativ mit dem werkzeugkasten umgehst und zb soundtechnisch einiges einfügst, das ich so noch nicht gehört habe, erfindest du das rad eben auch nicht neu. daher bleibt's wohl für mich erstmal bei dem einmaligen hören.
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