Disarstar - Deutscher Oktober
WarnerVÖ: 12.03.2021
In der Ruhe liegt die Wut
"Haus Irmgard" liegt in Ramshausen, einem Örtchen im niedersächsischen Niemandsland zwischen Bremen und Hamburg. Ein beschauliches Fleckchen, umgeben von Wiesen und Wäldern, wo sich Damwild und Kranich gute Nacht sagen. Genau hier hat der Rapper Disarstar zusammen mit Freunden seinen Corona-Sommer verbracht und im hauseigenen Tonstudio den Nachfolger von "Klassenkampf & Kitsch" aufgenommen. "Deutscher Oktober" folgt knapp zwölf Monate nach dem letzten Release und könnte sich doch kaum deutlicher vom Vorgänger unterscheiden. Der Kitsch ist weg, der Klassenkampf bleibt.
Schon im "Intro (Balenciaga)" legt Disarstar eine falsche Fährte und richtet seine Wut gegen den ungezügelten Materialismus der Le-le-le-Rapper unserer Zeit. Doch schon das folgende "Sick" thematisiert die sozialen Gräben und die Perspektivlosigkeit seiner Stadt, was sich als roter Faden durchs Album zieht. In "Großstadtfieber" nimmt der Hamburger die Hörer*innen auf eine alternative Stadtführung mit: "Was es hier nicht gibt, gibt es nicht / Und was Du siehst, kriegst Du nicht / Zwischen wunderschön und widerlich." In "Nachbarschaft" beschreibt er Szenen aus seinem Kiez St. Pauli: "Du hast 'n Haus am Strand, Plänе sind aufgegang'n / Der Typ auf der Treppe vom Haus gegenüber ist froh, wenn er trinken und rauchen kann." Besonders eindringlich wird es, wenn der Beat abbricht und der Rapper zu einem Rant gegen "irgendwelche FDPler in ihrem Sommerhaus" ansetzt.
Auch beim Blick auf die Feature-Gäste bietet sich der Vergleich mit "Klassenkampf & Kitsch" an. Waren dort noch das Pop-Stimmchen Alexa Feser und Indierocker Sebastian Madsen geladen, sind auf "Deutscher Oktober" unter anderem die ehemalige SXTN-Rapperin Nura und der Battle-MC Boz dabei. Erstere darf sogar zweimal ran und drückt insbesondere "Trauma" ihren Stempel auf. Für die Hooks hat sich Disarstar auf jeweils zwei Tracks die Newcomer Dazzit und Eso.Es als Unterstützung geholt. Selbst singen ist nicht seine Stärke, dafür aber der intensive und energische Vortrag. Teilweise erinnert das an den Rap der Neunzigerjahre, als Akteure wie Torch und Curse noch von der Kanzel predigten und an jedem Satz so lange feilten, bis die Aussage saß.
Der Künstler selbst bezeichnet "Deutscher Oktober" als sein stimmigstes Werk – und tatsächlich klingt es wie aus einem Guss. Die Beats sind hart, aber abwechslungsreich und zeitgemäß. Gleiches gilt für die Texte, sodass am Ende alles ein Album mit einer enormen Hitdichte ergibt, mit dem der 27-Jährige endgültig den Schritt vom ewigen Geheimtipp ins Rampenlicht vollziehen dürfte. Dass "Deutscher Oktober" in der Einsamkeit der niedersächsischen Provinz entstand, überrascht nur auf den ersten Blick: Wahrscheinlich hat es genau diesen Abstand zum Moloch Hamburg gebraucht, um die Gedanken zu sortieren und die Ungleichheiten so deutlich zu beschreiben. Hoffentlich finden noch viele weitere Künstler*innen den Weg in die idyllische Abgeschiedenheit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Australien
- Trauma (feat. Nura)
- Großstadtfieber (feat. Dazzit)
- Nachbarschaft
Tracklist
- Intro (Balenciaga)
- Sick (feat. Dazzit)
- Australien
- 24/7 (feat. Eso.Es)
- Trauma (feat. Nura)
- Großstadtfieber (feat. Dazzit)
- Verloren (feat. Nura)
- Nachbarschaft
- Touchdown
- Tyler (feat. Boz)
- Tsunami
- La fin (feat. Eso.Es)
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Autotomate
2022-02-26 23:32:36
Ich mag seine neueren Tracks mit den Jugglerz, "7 Leben", "Alles was wir kenn" und vor allem "Microdose". Vielleicht wird da ja noch ein Album draus...
Armin
2021-04-07 20:19:21- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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