Tied & Tickled Trio - Observing systems

Morr / Hausmusik / Indigo
VÖ: 08.09.2003
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Solo für Klarinette

Es gibt sie. Sie kommen unverhofft, meist dann, wenn man überhaupt nicht mit ihnen rechnet, sie aber umso mehr gebrauchen kann. Momente, in denen auf einmal alles einen Sinn ergibt. Die absolut richtig erscheinen. Makellos, vollkommen, einfach perfekt eben. Es sind Momente, für die es sich zu leben lohnt. Und es sind Musiker wie The Notwist, die solche Momente nicht nur einfangen, sondern auch auf 40 Minuten und mehr ausdehnen können. "Neon golden" war so ein Glücksgriff. Ein exakt ausbalancierter und doch spielerisch leichter Drahtseilakt zwischen Song und Track, Experiment und Eingängigkeit, Mensch und Maschine. Ein Geniestreich. Wovon solche Ausnahmekünstler nachts noch träumen? Und wie es klingt, wenn Weilheim mal so richtig die Sau rausläßt? Bitteschön.

Von dem Gedanken, The Notwist und ihr Umfeld auf den indierockenden Hardcore ihrer Frühphase zu beschränken, hat man sich ja längst verabschiedet. Mit der Zeit wurde schließlich nicht nur Beatbox-Zauberer Martin Gretschmann in die Weilheimer Musikschule eingeführt, die Gebrüder Acher und ihr Mitstreiter Martin Messerschmidt hatten auch bei immer zahlreicheren, immer obskureren Nebenprojekten ihre Finger mit im Spiel. Der vielleicht außergewöhnlichste dieser Spielplätze nun ist das Tied & Tickled Trio. Ein Jazz-Ensemble im beinahe klassischen Sinne. Wenn nicht auch hier die Laptops ein verblüffendes Eigenleben führen würden.

Die treibenden und songschreibenden Kräfte hinter dem Tied & Tickled Trio sind Micha und Markus Acher, der Elektroniker Andreas Gerth und Johannes Enders. Letzterer weiß praktischerweise mit jedem vorstellbaren Blasinstrument etwas anzufangen und zeichnet sich folglich für einen Großteil der entfesselten Improvisationen auf "Observing systems" verantwortlich. Diese nehmen sich zwar schon mal ihre Zeit und driften auch gerne ins beherzt free-jazzende ab, laufen aber doch niemals störend aus dem Ruder. Was keinen überraschen sollte. Wir sprechen hier schließlich von Weilheim. Und die Selbstverständlichkeit, mit der man dort alles richtig macht, darf einem langsam durchaus unheimlich werden.

Wichtig war den Beteiligten an "Observing systems" vor allem der Live-Charakter des Materials. Die Platte wurde nicht nur in lediglich vier Tagen eingespielt, selbst wenn man sich für manches Stück eine halbe Big Band ins Studio holte, wurde größtenteils auf digitale Nachbearbeitungen verzichtet. So klingt es vor allem rund und spontan, wenn sich die versammelte Bläserfraktion im Opener "The long tomorrow" über behutsam entwickelte Strukturen hermacht. Die zahlreichen Solisten in "Bungalow" gegen Markus Achers trickreiche Percussion antreten. Und "Motorik" die gebückt gehenden Beats von Andreas Gerth in prominente Position bringt. Soll noch mal einer sagen, Jazzmusik sei schwierig. Man muß eben nur ein bißchen genauer hingucken. So wie diese Herren hier.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The long tomorrow
  • Freakmachine
  • Bungalow
  • Motorik

Tracklist

  1. The long tomorrow
  2. Radio sun 1
  3. Revolution
  4. Radio sun 2
  5. Freakmachine
  6. Observing systems
  7. 3.4.e
  8. Radio Jovian
  9. Like Armstrong + Laika
  10. Bungalow
  11. Radio sun 3
  12. Memory dub
  13. Motorik
  14. Ship monk
  15. Henry + the ghosts
Gesamtspielzeit: 56:12 min

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