Xiu Xiu - Oh no

Polyvinyl / Rough Trade
VÖ: 26.03.2021
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Zerreißprobe

"I don't discriminate – I hate everyone." Eine blitzsaubere, wiewohl ziemlich misanthrope Sentenz, die man Jamie Stewart bedenkenlos in den Mund legen konnte. Wie zutreffend sie war, zeigte nicht zuletzt das Bekenntnis zum eigenen Insuffizienzgefühl auf "Dear God, I hate myself ". Doch wer sagt da, universeller Hass sei kein Kindergeburtstag? Denn zu etwas ähnlichem lädt das zwölfte Xiu-Xiu-Album, auf dem Stewart über ein Dutzend Gäste aus Singer-Songwriter, Lo-Fi, Noise-Rock und Avantgarde-Schnipselogie begrüßt und dabei feststellt, dass hochgerechnet doch nur circa die Hälfte der Menschheit aus Arschlöchern besteht. Für seine Verhältnisse ein prima Schnitt – und ideale Voraussetzung für eine doppelbödige Duett-Platte, auf der grundsätzlich alles passieren kann. Kein Wunder, dass das Ganze mit einem guten Schluck beginnt und endet. Na dann mal prost.

Idealerweise mit der "Sad mezcalita" aus dem Opener, zu der sich Stewart und Sharon Van Etten gegenseitig umgarnen, während geräuschige Eruptionen die wie mit feinem Pinselstrich gezogenen Gitarrenlicks in der Luft zerfetzen – als würde man zarte The-xx-Knospen in einem Betonmischer zermalmen und sie anschließend in einen blubbernden Drink rühren. Und auch wenn Eingängigkeit anders ist, haben wir es hier schon mit einer der aufgeräumteren Passagen von "Oh no" zu tun – einem Album, das beständig mit Unzulänglichkeiten, emotionalen Sollbruchstellen und geistigen Stolperfallen mauschelt. Da kann der massive Shoegaze-Walzer "Saint Dymphna" mit Hilfe von Twin Shadows George Lewis noch so eindringlich die Schutzpatronin der psychisch Kranken beschwören: Erlösung gibt es hier maximal am Rande. Oder erst ganz zum Schluss.

Da wartet nämlich "A bottle of rum", die Stewart mit Grouper-Frau Liz Harris leert – in einem zwar angezerrten, aber bemerkenswert locker rumpelnden Indie-Shuffle, der dieses Album auf den letzten Metern doch noch einer ähnlichen Hüftwackel-Bestimmung zuführt, wie es auf "Always" mit "Hi" oder auf "Dear God, I hate myself" mit "Gray death" der Fall war. Zuvor besäuft sich der Kalifornier mit Vorliebe an seiner inneren Zerrissenheit: "Goodbye for good" zeigt ihn mit Deerhoofs Greg Saunier vor einem Buntmetall-Orchester, das einen schwerzüngigen Trennungssong inszeniert, Owen Pallett verpasst dem verstohlenen "I dream of someone else entirely" ein windschiefes Streicher-Arrangement, mit der gesanglich vergleichbar gepolten Haley Fohr alias Circuit Des Yeux croont Stewart formvollendet die Schauerballade "The grifters". Nicht immer schön, aber meist spukig.

Zerklüftete Momente, denen zu folgen mitunter genauso schwer fällt wie etwa "A classic screw" oder "I cannot resist": Industrielle Lärmbrocken begraben Pianos und Choräle unter sich, filigrane Torch-Songs verschwinden hinter crunchigen Soundwänden. Besser macht es der elektronische Sleaze-Groover "Rumpus room", in dem Liars' Angus Andrew mit sardonischem Grinsen seinen inneren Mike Patton entdeckt, doch sämtliche Stärken von "Oh no" bündelt Stewart, der einmal in einer Bauhaus-Tribute-Band spielte, ausgerechnet bei einer Coverversion von The Cure: "One hundred years" schillert mit Chelsea Wolfe als zweiter Stimme in ebenso blankem Entsetzen wie einst auf dem zerstörerischen Meisterwerk "Pornography". Und am Ende bleiben Xiu Xiu auf reichlich bizarr verdrehte Weise Pop – selbst mit einem so mutwillig unrunden Album wie diesem.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sad mezcalita (feat. Sharon Van Etten)
  • Rumpus room (feat. Angus Andrew)
  • One hundred years (feat. Chelsea Wolfe)
  • A bottle of rum (feat. Liz Harris)

Tracklist

  1. Sad mezcalita (feat. Sharon Van Etten)
  2. I cannot resist (feat. Deb DeMure)
  3. The grifters (feat. Haley Fohr)
  4. Goodbye for good (feat. Greg Saunier)
  5. Oh no (feat. Susanne Sachsse)
  6. Rumpus room (feat. Angus Andrew)
  7. Fuzz gong fight (feat. Angela Seo)
  8. I dream of someone else entirely (feat. Owen Pallett)
  9. One hundred years (feat. Chelsea Wolfe)
  10. A classic screw (feat. Fabrizio Modonese Palumbo)
  11. It bothers me all the time (feat. Shearwater)
  12. Saint Dymphna (feat. Twin Shadow)
  13. Knock out (feat. Alice Bag)
  14. A bottle of rum (feat. Liz Harris)
  15. Ants (feat. Valerie Diaz)
Gesamtspielzeit: 53:36 min

Im Forum kommentieren

velvet cacoon

2021-03-28 17:18:23

niemals eine 6/0, das Album klappt durch und durch auf 8/10 Niveau!

Klaus

2021-03-26 13:40:50

Heut abend noch mal in voller Länge, aber das One hundred years Cover ist schon mal mächtig.

Klaus

2021-03-25 16:19:42

Sehr schöner Text, wenngleich ich glaube, dass mir das Album etwas mehr geben wird, als die 6, wenn das Niveau der Vorabsongs gehalten wird.

Armin

2021-03-24 22:04:52- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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