Ghetts - Conflict of interest

Warner
VÖ: 19.02.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Rückspiegel nach vorne

Ghetts war da, als es anfing. Frisch aus dem Gefängnis entlassen erlebte Justin Clarke zu Beginn der 2000er die ersten Jahre des Grime, für den er im Anschluss selbst zur prägenden Figur wurde. Doch im Gegensatz zu manchen Kollegen wie Dizzee Rascal kam der Londoner Rapper mit karibischen Wurzeln nie über den Status eines Kritiker- und Szenelieblings hinaus. Vielleicht ändert sich das nun mit "Conflict of interest", das als elftes Release – Mixtapes und EPs eingeschlossen – sein Major-Debüt markiert. Der erste Schock über das wie ein eitriger Pickel auf der Tracklist sitzende Ed-Sheeran-Feature ist schnell überwunden, denn Mainstream-Annäherungen finden hier nur als Randnotiz statt. Über den Großteil dieser 70 Minuten zieht Ghetts ein ambitioniertes Epos hoch, das die Grenzen des Genres auslotet. Minimalistische Beats treffen auf echte Streicher- und Bläser-Arrangements, Aggression auf Introspektion, Vergangenheit auf Zukunft – und der 36-Jährige hält die Fäden so selbstverständlich zusammen, wie es nur eine Grime-Koryphäe vermag.

"I don't care about nostalgia", rappt er im Opener "Fine wine" und formuliert damit eine glatte Lüge. Der Blick in den persönlichen Rückspiegel macht einen wesentlichen Teil der Platte aus, konzentriert im Herzstück "Autobiography": einem siebenminütigen Abriss über den bisherigen Werdegang, der mit seinen geisterhaften Hintergrundgeräuschen auch musikalisch einnimmt. Der Mittelteil von "Conflict of interest" rekapituliert ebenfalls Schlüsselerlebnisse aus Ghetts' Leben, begleitet von gefühlvollen Piano-Klängen. Enttäuschte Voicemails einer Ex-Partnerin umrahmen "Dead to me" und werfen ihrem Empfänger vor, nie über "Sonya" hinweggekommen zu sein – eine Jugendfreundin, die kurz darauf ihren eigenen, von Emeli Sandé und einem sehnsüchtigen Saxofon unterstützten Song erhält. Auch "Proud family" wird trotz unheilvollen Akkorden und elektronischen Nebelschwaden seinem Titel gerecht, feiert Mama Clarke gleichermaßen wie das eigene Elternglück.

Doch Ghetts kann auch ganz anders. In "No mercy" holt er sich mit Pa Salieu und BackRoad Gee die nächste Generation hungriger UK-Rapper dazu, um einen paranoiden Banger mit Bass-Wumms und nervösem Singsang aufzuziehen. Das riesengroße Highlight "IC3" – benannt nach dem Polizeicode für schwarze Verdächtige – giftet gemeinsam mit Skepta gegen den Rassismus des Heimatlands: "Don't tell me go back where I came from / While the Queen sits there in stolen jewels." Tracks wie dieser bilden die andere Seite des Albums: unheimliche, aufs Nötigste reduzierte Eisflächen-Instrumentals, die Ghetts mit seinen aufgestachelten Versen in Brand steckt. Sei es alleine wie im G-Funk-inspirierten "Hop out" oder im Sparring mit den anderen Grime-Größen Stormzy und Giggs, die in "Skengman" respektive dem skelettal hallenden "Crud" die ganz lange Leine bekommen.

Auch "Mozambique" hat viel Feuer im Bauch, wartet mit cineastischer Atmosphäre, gedämpften Chören und einer starken Hook der südafrikanischen Sängerin Moonchild Sanelly auf. Gerade in Anbetracht solch musikalisch eigensinniger Stücke ist es schade, dass Ghetts an zwei Stellen doch Zugeständnisse an den Pop macht. "Good hearts", ein UK-Garage-Versuch mit der Schwedin Aida Lae, geht dabei noch klar, das Sheeran-Feature "10,000 tears" eher nicht, lässt sich bei der langen Albumlaufzeit aber auch locker unter den Teppich kehren. Zumal "Little Bo Peep" als abschließendes Statement keine Zweifel am zugrundeliegenden Kunstanspruch lässt. Es sind sechs Minuten geschmackvoller, bewegender Streicher-Soul, der zusammen mit Dave den englischen Kinderreim zur modernen Gesellschaftskritik umdeutet: "What if we chose to follow all the things we used to follow? / Normalised death less / Obsessed less over capital and excess." Ghetts hat nicht nur die Anfänge des Grime miterlebt, er ist auch mit seiner geliebten Szene erwachsen geworden.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mozambique (feat. Jaykae & Moonchild Sanelly)
  • IC3 (feat. Skepta)
  • Autobiography
  • Little Bo Peep (feat. Dave, Hamzaa & Wretch 32)

Tracklist

  1. Fine wine
  2. Mozambique (feat. Jaykae & Moonchild Sanelly)
  3. Fire and brimstone
  4. Hop out
  5. IC3 (feat. Skepta)
  6. Autobiography
  7. Good hearts (feat. Aida Lae)
  8. Dead to me
  9. 10,000 tears (feat. Ed Sheeran)
  10. Sonya (feat. Emeli Sandé)
  11. Proud family
  12. Skengman (feat. Stormzy)
  13. No mercy (feat. BackRoad Gee & Pa Salieu)
  14. Crud (feat. Giggs)
  15. Squeeze (feat. Miraa May)
  16. Little Bo Peep (feat. Dave, Hamzaa & Wretch 32)
Gesamtspielzeit: 70:57 min

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Armin

2021-03-10 20:40:32- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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