Alice Cooper - Detroit stories
Ear / EdelVÖ: 26.02.2021
Shock Rock City
Detroit, Michigan. Es gibt wohl nur wenige Städte, die so symbolhaft für den Verfall von Industrie und Wohlstand stehen wie die Stadt am gleichnamigen Flüsschen, das den Lake St. Clair und den Eriesee miteinander verbindet. Es gibt erschütternde Bilder von nahezu verwaisten Vierteln der Stadt, die einmal Motor City genannt wurde. Rust Belt pur. Und doch galt Detroit nicht erst seit einem gewissen Song von Kiss auch als "Rock City" – hier wurde das legendäre Motown-Label gegründet, hier legten MC5 und Iggy Pop mit seiner Band The Stooges die Grundlagen des amerikanischen Punkrocks. Im Hardrock hingegen gab es zwei wichtige Protagonisten – nämlich Ted Nugent, zumindest bis zu seinem Irrweg nach Rechtsaußen, und Alice Cooper, der zwar schon seit seiner Kindheit in Phoenix, Arizona lebt, aber seine Wurzeln im Norden der USA mitnichten vergessen hat.
Eine Hommage an die Heimatstadt soll Coopers 20. Studioalbum mit dem sinnigen Titel "Detroit stories" also sein, doch überraschenderweise beginnt die Platte mit einer Coverversion von "Rock'n'roll" – im Original natürlich von The Velvet Underground, bekanntermaßen aus New York. Des Rätsels Lösung: 1971 wurde dieser Song bereits von einer Band namens Detroit gecovert. Der damalige Produzent war ein gewisser Bob Ezrin, der ein Jahr später eine Platte namens "School's out" produzieren sollte. Und weil's in Sachen Rock-Archäologie gerade so schön war, rekrutierte Cooper – neben anderen illustren Gästen wie Joe Bonamassa, U2-Drummer Larry Mullen oder Wayne Kramer von den bereits erwähnten MC5 – direkt noch den damaligen Schlagzeuger Johnny "Bee" Badanjek. Da schließt sich wohl ein Kreis.
Eine runde Sache ist "Detroit stories" dann auch tatsächlich. Und das liegt zunächst einmal daran, dass Cooper wie schon auf der Vorgängerplatte "Paranormal" vor allem dem erdigen Seventies-Rock huldigt. Das klingt durchaus manchmal ungestüm, manchmal ruppig – "Go man go" erhält in den Strophen gar eine dezente Punk-Note – vor allem aber sprüht jeder einzelne Song vor Spielfreude. Doch wer sich davon zu sehr mitreißen lässt, tappt genau in die Falle, die der 73 Jahre alte Frontmann sehr geschickt ausgelegt hat. Denn hinter fröhlichen Hooks verbergen sich fiese kleine Haken in den Texten – die Schock-Rock-Tradition verpflichtet nun einmal. So ist "Our love will change the world" alles andere als eine fröhlich hüpfende Jugend-Hymne, und "Hanging on by a thread (Don't give up)" ist gar ein flammender Appell dafür, trotz aller Sorgen seinem Leben kein vorzeitiges Ende zu setzen. Und ja, die Telefonnummer am Ende des Songs ist die tatsächliche Nummer der amerikanischen Hotline für suizidgefährdete Menschen.
Und doch sind da noch die kleinen, augenzwinkernden Ausreißer, die das düstere Bild der größten Stadt Michigans auflockern wie zum Beispiel das alberne "I hate you". Selbst die Erinnerung an die Zeiten, als die Haare noch lang und die Bands noch wild waren, kommt in Form von "Detroit 2021" nicht zu kurz, inklusive kleinem Ratespiel, welche dort geborenen Künstler in der ersten Strophe wohl gemeint sein könnten. Sagen wir's mal so: Suzi Quatro und Eminem in einem Atemzug zu nennen, ist schon äußerst geschickt. So geschickt eben, wie die düsteren Momente versteckt werden, beispielhaft in der abschließenden Coverversion von Bob Segers "East side story". Letztlich jedoch liegt genau in diesen vermeintlichen Konflikten der Reiz, ja, auch das Heimatgefühl. Denn genau so, wie Alice Cooper für Vincent Furnier ein Alter Ego ist, eine Kunstfigur, mit deren Rolle er die dunklen Seiten zeigen will, so hat auch die Motor City neben ziemlich offensichtlichen Schattenseiten ebenfalls ihre Reize, und seien es nur die Heerscharen brillanter Musiker, die diese Stadt hervorgebracht hat. "Detroit stories" ist ein wunderbarer Soundtrack dafür.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Go man go
- Detroit City 2021
- Independence Dave
- Hanging on by a thread (Don't give up)
Tracklist
- Rock'n'roll
- Go man go
- Our love will change the world
- Social debris
- $1000 high heel shoes
- Hail Mary
- Detroit City 2021
- Drunk and in love
- Independence Dave
- I hate you
- Wonderful world
- Sister Anne
- Hanging on by a thread (Don't give up)
- Shut up and rock
- East side story
Im Forum kommentieren
ijb
2021-02-27 14:45:57
Ich hab die CD eben bekommen (mit der neuen Stereolab) und gleich angehört: Echt gute Platte! Altmodisch ja, aber trotzdem ziemlich cool. Meine erste Alice-Cooper-CD seit – Achtung! – 1994.
oldschool
2021-02-19 21:48:52
Die beiden Vorabsingles klingen auf jeden Fall frischer als die neue Foo Fighters. Altherrenrock muss nicht schlecht sein :)
Armin
2021-02-17 20:15:49- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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