
Liturgy - Origin of the alimonies
YLYLCYNVÖ: 20.11.2020
Angeschwärzte Klangkunst
Das Coming-out von Sängerin Hunter Hunt-Hendrix als Transfrau spielt sicherlich eine signifikante Rolle dabei, wie Liturgy als Band wahrgenommen wird. Die Band untergräbt seit jeher die Vorstellung davon, wie Metal klingen sollte, sprengt konsequent alle Kategorien, zerlegt die Schubladen, in die sie immer wieder gesteckt werden. Und doch inszenieren sie sich klar als eine "transzendentale Black-Metal-Band". Solch provozierende Grenzgänger*innen, die keine Abneigung gegenüber digitaler Manipulation, Oper und je nach Betrachtungsweise aufgeladene oder aufgeblasene Konzepten haben, sind für den weißen, männlichen trven Black Metal-Nerd schon an sich zu viel. Dass Hunt-Hendrix sich jetzt als Frau identifiziert, trägt dazu bei, dass der Nerd völlig aus dem Häuschen gerät, da er sein Genre völlig missinterpretiert und, noch schlimmer, falsch repräsentiert sieht.
"Origin of the alimonies" eröffnet mit den Klängen eines düsteren, ambigen und mikrotonal agierenden Kammerorchester. Doch das bekannte Unheil kündigt sich schon an: Glitches zerfasern das Spiel, das Ensemble tönt zunehmend dissonanter daher, die akustische Komposition erodiert und das Stück entgleist in symphonische Black-Metal-Raserei. Es ist eine Einleitung in das, was Hunter Hunt-Hendrix als ihre Version "totaler Kunst" versteht. Sie nennt es Perichoresis. Laut Wikipedia ist damit "die vollständige gegenseitige Durchdringung, die zu einer Einheit ohne Verschmelzung führt" gemeint. Genau das ist es, was Liturgy auf diesem neuen Album zelebrieren.
Mit dem Beginn von "Oioion's birth" wird man tiefer in die Welt dieser abgründige Black-Metal-Oper geleitet, die nach einer metallisch angeschwärzten Wagner-Huldigung klingt, nur in einer digitalen Audio-Workstation ordentlich dekonstruiert und manipuliert. In "Lonely Oioion" finden die verschiedene Teile in einer Symbiose zusammen. Während die Blastbeats den Transport in Richtung Hölle übernehmen, schneiden manipulierte Gitarrenwände ins Hirn. Orchestrale Opulenz leistet ein episches Feuerwerk, um sich völlig in dieses immersive Gemetzel fallen lassen zu können. Mikrotonal sich aneinander reibende, windschiefe Bläser, Streicher und Glitches hadern und schwanken in "The fall of Siheymn" zwischen zurückhaltendem Jazz-Freakout und moderner Klassik, bevor die Komposition wieder in den alles verzehrenden Mahlstrom gerät und der Sound sich ins Unermessliche steigert.
"Siheymn's lament" ist die dekonstruierte Avantgarde-Version eines Trap-Liedes, das es irgendwie schafft, Abstract-HipHop-Beats mit Klassik und Black Metal zu einer Melange zu formen, die nicht so gut funktionieren sollte, wie sie es tut. Und damit die ersten unzulänglichen Annäherungsversuche dieser Art, wie sie auf "The ark work" zu finden sind, weit überschreitet. Die Weise, wie sich Versatzstücke aus als gegensätzlich empfunden Genres die vorher erklärte Perichoresis vollziehen, ist gleichermaßen beeindruckend wie berauschend.
"Apparition of the eternal church" ist mit Abstand das längste Stück des Albums und schraubt sich in seinen 14 Minuten Laufzeit immer tiefer in die zwielichtige Atmosphäre hinein, die dieses Album bis hierhin hat entstehen lassen. Es ist eine polternde, flackernde Fahrt, die sich gewöhnlicher Metaphorik entzieht. "The armistice" fungiert schließlich als Outro. Hunt-Hendrix verstört mit ihrem skandierten Geschrei ein zartes Streicher-Ensemble, das Black Metal-Instrumentarium überwältigt die Komposition, bevor die einzelnen Elemente zu einem letzten symphonischen Ausbruch zusammenfinden.
Ob man nun die antiken und christlichen Referenzen, die Bezüge zur Geistesgeschichte von Hegel bis Lacan als faszinierend empfindet und mit in die Rezeption einbezieht oder nicht, ist für die Hörerfahrung sekundär. Denn die Hintergründe, die dieses Werk anreichern, sind unterschwellig präsent. Auch auf "Origin of the alimonies" vereinen Liturgy Disparates zu einer Vision, die für sich steht und singulär ist. Ob das jetzt der ein oder andere Nerd mit seinen Hörgewohnheiten nicht vereinbaren kann, ist dabei ebenfalls reichlich egal. Um an die Rezension zu dem letztjährig erschienenen Album "H.A.Q.Q." anzuschließen: Liturgy machen weiterhin radikale Klangkunst, egal wie kacke sie manch einer finden mag.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Lonely Oioion
- Siheymn's lament
- Apparition of the eternal church
Tracklist
- The separation of HAQQ from HAEL
- Oioion's birth
- Lonely Oioion
- The fall of Siheymn
- Siheymn's lament
- Apparition of the eternal church
- The armistice
Im Forum kommentieren
Der Untergeher
2020-12-13 22:16:43
Mögt ihr das begründen? Ich finde es auch nicht genial, aber doch sehr ordentlich. BM, Glitches und Klassik werden fein miteinander verschmolzen. Alles sehr gut arrangiert und produziert, wie aif dem Vorgänger. Was macht dieses Album so viel schlechter?
Eurodance Commando
2020-12-13 18:13:49
Finde die Band auch sowas von überbewertet. Kann damit gar nix anfangen obwohl ich kaum Scheuklappen habe. Ich find's einfach richtig schlecht.
velvet cacoon
2020-12-13 17:15:26
die beiden Vorgänger waren/sind gut, aber dieses neue Album ist so egal und nichtssagend.Es kommt mir vor, als wäre es ein Neben/Abfall-produkt von H.A.Q.Q.
naja, eine 5/10 halt, ich verstehe so manche Rezi-Bewertung hier gar nicht.
Okay, alles subjektiv.
Marküs
2020-12-11 08:40:56
Digital = scheißegal
Watchful_Eye
2020-12-10 23:51:12
Auf "Wind's Poem" und "Ocean Roar" hat Elverum mit Black Metal-Einflüssen gespielt, aber in diese Aufzählung würde ich ihn dann doch nicht packen.
Für mich persönlich sind seine Alben aus dieser Zeit aber tatsächlich die interessantesten. Mit "A Crow.." werde ich nichts anfangen können, das erschließt sich schon aus den Beschreibungen anderer.
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