
Kali Uchis - Sin miedo (del amor y otros demonios)
Interscope / Virgin / UniversalVÖ: 18.11.2020
Spanish love songs
Der popkulturelle Mainstream reißt Grenzen ein. Nicht nur Genres verschwimmen, auch sprachliche Barrieren lösen sich in einer Zeit, in der südkoreanische Künstler*innen Online-Rekorde brechen und Best-Picture-Oscars gewinnen, immer stärker auf. Es ist also nicht gerade ein revolutionärer Akt, wenn Kali Uchis ein fast komplett auf Spanisch gesungenes zweites Album veröffentlicht – zumal die Sprache spätestens seit Shakira und Enrique Iglesias ihren festen Platz in den Charts hat. Doch die amerikanisch-kolumbianische Musikerin beweist damit weiterhin ihre Eigensinnigkeit. Die Türen, die das Debüt-Meisterwerk "Isolation" mit seinem Kritik und Pop-Fans einenden Anklang aufriss, schlägt der Nachfolger mit eleganter Fußbewegung wieder zu. "Sin miedo (del amor y otros demonios") – übersetzbar mit: "Ohne Angst (vor Liebe und anderen Dämonen)" – wartet nicht mit exzessivem Genre-Hopping und großen Features wie Damon Albarn oder Tyler, The Creator auf, sondern dreht alle Regler herunter. Ihre eh nie sehr aufdringlichen Songs reduziert Uchis zu zeitgemäß produzierten Miniaturen, die Latin-Einflüsse und andere Spielereien nur ganz dezent verweben. Immer noch Schlafzimmermucke, aber jetzt mit Fokus aufs Kuscheln danach.
In dieser Hinsicht führte die erste Auskopplung "Aquí yo mando" noch auf eine falsche Fährte. Über einem Trap-Beat mit fettem Bass stellen Uchis und ihre rappende Geistesschwester Rico Nasty klar, wer die dicksten Eierstöcke im Gebäude hat. Fürs Album repräsentativ ist eher die zweite Single "La luz (Fín)", in der die 26-Jährige ihren gewohnten und immer noch hervorragend sitzenden Neo-Soul-Anzug aus dem Schrank holt. Die samtene Beschaffenheit dieses Stoffs lässt sich fast haptisch erfassen. Wenn der akustische Eröffnungs-Bolero "La luna enamorada" in das wundervoll verträumte PartyNextDoor-Feature "Fue mejor" übergeht, ändert sich zwar die Instrumentierung, aber keinesfalls der fluffige Aggregatszustand. Auch der klassische R'n'B-Slow-Jam "Quiero sentirme bien" lullt einen so zärtlich ein, dass man in die unverstandenen Worte allerlei romantische Umschmeichlungen hineinprojiziert. Wer "Isolation" vor allem für seinen Eklektizismus mochte, könnte von "Sin miedo" beim ersten Hören vor den Kopf gestoßen werden. Doch die immer noch tollen Melodien und die pastellfarbene Atmosphäre entwickeln mit der Zeit ihren ganz eigenen Reiz, der sich unfairen Vergleichen zum Vorgänger selbst entzieht.
Zumal die Platte auch im reduzierteren Rahmen einige Einfälle zu bieten hat. Mal sind diese sehr subtiler Natur wie die gesanglichen Schnörkel im frühen Highlight "Aguardiente y limón" oder die Karamell-Synths in "Telepatía", das von den modernen Möglichkeiten distanzierter Zweisamkeit erzählt: "You stay on the phone just to hear me breathe." An anderer Stelle feiert "Te pongo mal (Préndelo)" eine unerwartet schwitzige Reggaeton-Party mit dem Puerto-ricanischen Duo Jowell & Randy, während der Closer "Ángel sin cielo" unheimliche Stimmeffekte über seine Saiten gurgelt. Am markantesten sticht aber ein zentrales Doppel heraus: Erst badet "Vaya con dios" mit dramatischen Streichern in Portishead-TripHop, dann bewirbt sich das La-Lupe-Cover "Que te pedí" für den Titelsong eines fiktiven kubanischen James-Bond-Films. "When the angels come to carry me from Earth", singt Uchis am Ende des erstgenannten Tracks in einer der wenigen englischen Zeilen des Albums – und man fragt sich, warum sie nicht einfach selbst mit den Flügeln ihres Coverbilds davon gleitet. Schließlich hat "Sin miedo" eindrucksvoll bewiesen, dass Erwartungshaltungen und andere Befindlichkeiten des Erdenvolks dieser so ungreifbaren Frau höchstens die Federn touchieren.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fue mejor (with PartyNextDoor)
- Aguardiente y limón
- Vaya con dios
- Telepatía
Tracklist
- La luna enamorada
- Fue mejor (with PartyNextDoor)
- Aguardiente y limón
- Aquí yo mando (with Rico Nasty)
- Vaya con dios
- Que te pedí
- Quiero sentirme bien
- Telepatía
- De nadie
- No eres tu (Soy yo)
- Te pongo mal (Préndelo) (with Jowell & Randy)
- La luz (Fín) (with Jhay Cortez)
- Ángel sin cielo
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Armin
2020-11-30 22:48:17- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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