Molchat Doma - Monument
Sacred Bones / CargoVÖ: 13.11.2020
Im Schatten der Ideale
Der Durchbruch von Molchat Doma ist ein Manifest seiner Unwahrscheinlichkeit. Dem "Schweigen zu Hause", so ließe sich der Bandname der Belarussen aus Minsk annähernd übersetzen, folgte ein Sturm in den Sozialen Medien, als "Sudno" aus ihrem 2018er-Zweitling "Etazhi" von der TikTok-Community entdeckt wurde. Rund 150.000 der kleinen Videos sind inzwischen mit Passagen aus dem Song hinterlegt, 37 Millionen Spotify-Aufrufe haben ihn zum Soundtrack eines diffusen Gefühls der amerikanischen Jugend werden lassen, die eine unerwartete Sehnsucht in die post-sowjetisch gefärbte Ikonographie der drei Musiker zu projizieren scheinen. In der visuellen Ästhetik der Band finden sich allerhand Bezüge zur Geometrie ausladender Plattenbausiedlungen im gelblichen Abendlicht – eindringliche Referenzen an die Architektur des sozialistischen Realismus, die zugleich einen mentalen Zustand kartographieren. Eine persönliche Zerbrechlichkeit hallt durch diese kargen Lieder zwischen Post-Punk und Dark Wave, die einerseits im Kontrast zu den monumentalen Charakter der Gebäude steht, andererseits in ihrem Verfall, ihrer Nutzlosigkeit eine vertraute Metapher der eigenen Niedergeschlagenheit findet. Diese Ambivalenz im Schatten einstmaliger Ideale bildet auch so etwas wie das Leitmotiv auf "Monument" und formuliert einen Zustand, dem sich westlich geprägte Hörer langsam annähern sollten, wollen sie nicht einfach beim Gefühl imposanter und düsterer Exotik verbleiben.
Nun ist bei weitem nicht alles fremd auf "Monument", schließlich tragen Molchat Doma ihre teils vertrauten Einflüsse recht offen zur Schau. Neben den unüberhörbaren Bezügen zu Kino und ihrem viel zu jung verstorbenen Frontmann Wiktor Zoi erinnern die Songs der Band stets ein wenig an die britischen Post-Punk-Granden von Joy Division, nicht zuletzt wegen des dunklen Baritons von Sänger Egor Shkutko – nur durch eine ziemlich andere Sozialisation gefiltert. "Utonut'" beginnt mit ominösem Ambient aus der Ferne, der auch als Intro eines Burial-Tracks funktionieren könnte, bevor eine messerscharfe Synthie-Melodie einsetzt, später freundlicher gekontert wird und das Album mit einem mechanischen Groove Fahrt aufnimmt. Die Drumcomputer klingen dabei so dünn und verhallt, als kämen sie geradewegs aus den 80ern und auch in der Folge fällt positiv auf, dass die Band ihre atmosphärische Lo-Fi-Produktion keineswegs aufgegeben hat. Das getragene "Obrechen" markiert die Ankunft von Gitarre und Bass, die fragile und geisterhafte Melodie-Skelette bauen, während Shkutko im Refrain seinen stoischen Bariton entfesselt und ein wenig an Morrisseys Wehklagen gemahnt. Im anschließenden "Discoteque", dem glasklaren Hit des Albums, wird eine surreal unterkühlte Ekstase zelebriert, als würde man fröhlich die Nacht in einer entkernten Fabrik durchmachen: Wenn der kalte Januar anklopft, sinniert der Erzähler, werde er die Türen öffnen, alle fortschicken und weitertanzen. Mit der ersten Single "Ne smeshno" sowie "Otveta net" finden sich auch Live-Favoriten der ersten internationalen Konzerte vor der Pandemie auf "Monument" – gerade letzterer Song besticht durch eine exzellente Gitarrenarbeit, die ohne Netz und doppelten Boden das fatalistische Nein des Textes mit kühnen Melodien umspielt.
Auch im weiteren Verlauf präsentiert "Monument" eine sanfte und gelungene Weiterentwicklung des Vorgängers, ohne dessen Intensität vollends zu erreichen: So nehmen die Synthies eine etwas prominentere Rolle ein und der unterdrückten Panik wird auf Liedern wie "Discoteque" und "Zvezdy" stellenweise ein wenig mehr beschwingter Pop beigemischt. Unterm Strich zeigen sich Molchat Doma jedoch als Band, die ihren Stil gefunden hat, sich auch durch die unverhofft gewaltige Resonanz im Internet nicht aus der Ruhe bringen lässt. Ein Songtitel wie "Leningradsky blues" spielt vielmehr mit den Erwartungen eines verengten westlichen Blickes. So auch das provokante Cover: Monolithisch prangt dort das Denkmal der nordkoreanischen Arbeiterpartei, umspült von Fluten, umflogen von Möwen, ein menschliches Zeugnis der Gemeinschaft ohne Menschen. Seine Bedeutung beginnt im neuen Kontext zu schillern, lässt sich schwer greifen. Einen Ansatz bieten vielleicht die Songs auf "Monument", die immer wieder eine verwaschene Zärtlichkeit behaupten: Von monolithischer Kargheit und Wucht nur scheinbar erdrückt, findet sie doch gerade einen Platz im Schatten, in den Rissen der Struktur. Man muss nur danach suchen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Obrechen
- Discoteque
- Otveta net
Tracklist
- Utonut'
- Obrechen
- Discotheque
- Ne smeshno
- Otveta net
- Zvezdy
- Udalil tvoy nomer
- Leningradsky blues
- Lubit' i vypolnyat'
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oldschool
2021-03-07 10:48:52
russischer Post-Punk.
Erfindet das Rad zwar nicht neu, aber dennoch nicht schlecht.
Nur in einem Punkt muss ich der Rezension widersprechen: Discoteque ist für mich nicht der Hit des Albums, sonders der Totalausfall. Im dunklen Joy-Division Post-Punk Sound des Albums zerstört dieser Songs mit seiner klebrigen, süßlichen Syntiemelodie ala Hurts doch etwas des Gesamteindruck.
Armin
2020-11-24 20:31:45- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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