Nothing - The great dismal

Relapse / Membran
VÖ: 30.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hellgraues Loch

Dass Quantität nicht alles ist, weiß kaum ein Musikgenre so gut wie der Shoegaze. Bands wie Lush, My Bloody Valentine oder Slowdive brauchten nur zwei bis drei Alben, um sich in die Pop-Geschichte einzuschreiben. Ein nicht enden wollender Pool von Epigonen greift vergebens nach einem ähnlichen Legendenstatus, obwohl deren Diskografien die ihrer Vorreiter oft zahlenmäßig übertreffen. Mit der Veröffentlichung ihrer vierten Platte gehören Nothing nun dazu – und auch wenn das Quartett aus Philadelphia nicht gerade das Feedback-Rauschen neu erfindet, macht seine geringe Popularität ein wenig betrübt. Auf "The great dismal" vermischen sie nämlich erneut diverse Strömungen alternativer Gitarrenmusik der Neunziger zu einem stimmungsvollen wie stilsicheren Gebräu. Härte trifft auf Zärtlichkeit und Slackertum auf Drama, während die Jungs jeden ästhetischen Trend der letzten 25 Jahre unter ihren Effektpedalen begraben. Trotz der obligatorischen Grautöne versinken Nothing dabei nie in Trübsinn oder Verzweiflung. Für ein Album, das von einem schwarzen Loch inspiriert wurde und dessen Titel sich als "Das große Trostlos" übersetzen lässt, geht "The great dismal" erstaunlich leicht runter.

Wie sich die dichte Düsternis in Schönheit zerfasert, kommt in keinem Song so gut zur Geltung wie im Opener. Zu Beginn von "A fabricated life" haucht Sänger Domenic Palermo Eiszapfen über einsame Akkorde, was an den skelettalen Frost der frühen The Cure erinnert. In der zweiten Hälfte türmt sich das Stück jedoch mit gleißenden Streichern auf, evoziert eher isländische Märchenwelt als verregnete Großstadt. In ähnlichen Gewässern fischt sonst nur der mustergültige Dream-Pop von "Blue Mecca", in dem Stimme und Geräusch auf surreale Weise verschmelzen. Den Kernsound der Platte repräsentiert eher ein Track wie "Say less": Die Drums scheppern in der leeren Fabrikhalle, während der Rest der Band eine Sternenexplosion zu vertonen scheint. Ja, "The great dismal" ist ein lautes Album. Auch "April ha ha" und "Just a story" sägen sich so erderschütternd durch ihren Saiten-Krach, dass es den Grunge aus seinem Totenschlaf zu reißen droht – vielleicht fehlen auf den jüngsten Erzeugnissen der Smashing Pumpkins nur deshalb die Gitarrenspuren, weil Billy Corgan sie versehentlich an Nothing geschickt hat. Selbst in den schwersten Momenten bewahren sich die US-Amerikaner dabei stets einen Drive und eine Luftigkeit, die sie nie komplett ins Dunkel abdriften lassen.

Im Rahmen ihrer stilistischen Möglichkeiten beweisen Nothing dabei durchaus eine gewisse Varianz. Dem poppigen Indie-Rock von "Catch a fade" scheint die Sonne so hell aus dem Hintern, dass man sich plötzlich auf einer kalifornischen Strandpromenade wähnt. Der Closer "Ask the rust" nähert sich mit brutalen Riffs gar dem Metal an, gewährt mit einem offenen Refrain aber Hoffnung inmitten des Untergangs. Einem Verruf als reinen Retro-Fetisch wirkt die Band mit einer topaktuellen Würdigung von Bernie Sanders entgegen – und trippelt im gleichnamigen Song mit Krautrock- und Psychedelic-Anleihen auch musikalisch aus ihrer Komfortzone. Doch die höchsten Höhen erreicht "The great dismal" innerhalb seiner vertrauten Koordinaten: wenn die grandiosen "Famine asylum" und "In blueberry memories" alle Genre-Tugenden konzentrieren, gleichzeitig federleicht schweben und wuchtig über den Boden schrammen und dabei einen unheimlichen emotionalen Sog entwickeln. Würden Nothing dieses Niveau auf Albumlänge halten, könnten sie ganz bequem auf dem Thron ihrer Vorbilder Platz nehmen. Für eine Favoritenrolle in der Europa League des Shoegaze reicht es aber auch so.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Say less
  • Famine asylum
  • In blueberry memories

Tracklist

  1. A fabricated life
  2. Say less
  3. April ha ha
  4. Catch a fade
  5. Famine asylum
  6. Bernie Sanders
  7. In blueberry memories
  8. Blue Mecca
  9. Just a story
  10. Ask the rust
Gesamtspielzeit: 46:17 min

Im Forum kommentieren

Vive

2024-06-11 09:09:03

Ah ok danke

Blanket_Skies

2024-06-11 08:12:29

"In August 2013 Nothing toured with Whirr, and as a result, members of Nothing and Whirr formed a side project called Death of Lovers.[10][11][12] The two bands also released a split EP in 2014,[13] and Whirr member Nick Bassett (ex-Deafheaven) joined Nothing on bass.[14]" Wiki

Vive

2024-06-10 17:15:53

Sind das nicht die whirr Typen oder manche davon?

Blanket_Skies

2024-06-10 11:25:09

Und hier bin ich wieder um das Gleiche zu sagen. Hoffentlich kommt da bald mal wieder was Neues (komplett Eigenes).

Blanket_Skies

2023-08-04 11:53:57

Immer noch ein sehr gutes Album, was mir alle paar Monate wieder einfällt und mich dann aufs Neue voll mitnimmt.

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