Autechre - Plus

Warp / Rough Trade
VÖ: 28.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Es wird einmal das Hirn

Sinn. Was für ein Wort. Mit Bedeutung überladen wie kaum ein anderer Begriff. Was macht man mit so einem Wort? Gelobt sei die Tür, bei der ist wenigstens meist klar, was gemeint ist. Autechre lassen einen über so einen Quatsch nachdenken, indem sie Musik machen, die an den Grundfesten des Verstandes rüttelt. Sie tun das jetzt schon eine ganze Weile, trotzdem kämpfen Hörer wie Kritiker noch immer damit, die eigentümliche Klangkunst des Duos zu beschreiben. Computerzeug, mit vielen Glitches und Geräuschen, sagen manche. Was ein Glitch ist, weiß aber auch nicht jeder. Muss aber auch nicht sein, denn bei aller Verkopftheit funktioniert Autechres Musik erstaunlich direkt. Gerade weil sich die Klänge so beharrlich den Konventionen entziehen, ensteht ein Gefühl der Vertrautheit. Wo Autechre draufsteht, ist auch Autechre drin.

Dies gilt auch für "Plus" (Eigenschreibweise: "PLUS"), das zweite Album, das die Band im Jahr 2020 veröffentlicht. Schon beim Blick aufs Artwork wird klar, dass es eng mit "Sign" verwoben ist. Nichts Neues, schon früher gab es Mehrfachreleases. Klanglich ist "Plus" deutlich perkussiver und minimalistischer angelegt. Es darf auch mal richtig rauschen, "marhide" zischelt beispielsweise vorzüglich vor sich hin. Melodien gibt es auch, aber selbstverständlich nur kaputte. Das, was etwa in "Ecol4" erklingt, erkundet die Räume zwischen den zwölf Tönen, an die sich die Menschen hierzulande gewöhnt haben. Dissonanzen sollen und müssen sein. Dass der Track fast eine Viertelstunde dauert, fällt irgendwann gar nicht mehr auf. Das Gefiepe und Gekeuche klingt so, als wäre es schon immer dagewesen. Ab jetzt wohnt es hier. "X4" könnte auch von einer Aphex-Twin-LP stammen. So zugänglich und eingängig waren Autechre länger nicht unterwegs.

Und bei aller Liebe zum Tranchieren ist es durchaus mal angenehm, einem Track zu lauschen, der nicht binnen kürzester Zeit zu Bruch geht. Allgemein überzeugt "Plus" durch einen äußerst kohärenten Sound. Wem die Autechre der jüngeren Vergangenheit zu experimentell waren, sollte hier definitiv ein Ohr riskieren. Aber das ist auch wieder so eine Aussage, die offenlegt, wie merkwürdig Sprache ist. Autechre lassen sich nicht ins Bockshorn jagen und legen mit "TM1 open" gleich noch einen Track vor, der das Zeug zum Klassiker hat. Wobei Klassiker im Autechre-Kontext bedeutet, dass zwei Leute, die sich niemals treffen würden, zufällig im selben Augenblick an den Song denken müssen. Ein Kommentator auf Sputnikmusic bringt es auf den Punkt: "Autechre sind für Menschen, die von 14 Millionen in Abständen von 178 rückwärts zählen können, aber von niemandem darauf hingewiesen wurden, damit aufzuhören, weshalb sie nun mit dem Kopf in den Händen in Restaurants sitzen und Panikattacken haben." Das ergibt Sinn.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ecol4
  • X4
  • TM1 open

Tracklist

  1. DekDre Scap B
  2. 7FM ic
  3. Marhide
  4. Ecol4
  5. Lux 106 mod
  6. X4
  7. Ii.pre esc
  8. Esle 0
  9. TM1 open
Gesamtspielzeit: 63:53 min

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Zappyesque

2020-11-11 16:30:21

Sehr stark, wie auch Sign. Unheimlich abwechslungsreiche und detailverliebte elektronische Musik, wie man es von Autechre gewohnt ist.

Armin

2020-11-10 21:15:46- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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