Emma Ruth Rundle & Thou - May our chambers be full

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 30.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Wucht und Zärtlichkeit

Live-Konzerte können nicht nur eine intensive, berauschende Erfahrung fürs Publikum sein, sondern auch die Kreativgeister auf der Bühne beflügeln. Als Emma Ruth Rundle und Thou auf dem Roadburn-Festival 2019 ein gemeinsames Set spielten, führte die dort erzeugte Synergie zu weiteren Auftritten ebenso wie zu einem vollwertigen Kollabo-Album. Schon auf dem Papier erscheinen diese zwei an den Grenzen härterer Musik wandelnden Parteien wie perfekte Komplemente: Der atmosphärisch tiefgründige, manchmal gar melancholische Sludge- und Doom-Metal von Thou passt hervorragend zu Rundle, die nie wirklich Metal machte, deren Post-Rock und Dark-Folk aber immer schon eine dem Genre natürliche Schwere mit sich trugen. Auch in der Praxis hebt "May our chambers be full" die Dynamik der Ränder hervor, eint Verletzlichkeit und Härte, Verträumtheit und Verzweiflung, wie eine zwischen Windstille und Sturm pendelnde Nachtlandschaft. Was beide Künstler*innen darüber hinaus teilen, ist ihre Liebe für den alternativen Rock der Neunziger, was sich in der zuweilen erkennbaren Grunge-Ästhetik ihres Projekts niederschlägt. Trotz aller Dramatik und der nicht gerade simplen Songstrukturen erweist sich die mit 36 Minuten recht kompakte Platte melodisch erstaunlich zugänglich.

Mit unheilvollem Geräusch beginnt der Opener "Killing floor", ehe er einen der interessantesten Reizpunkte von "May our chambers be full" präsentiert: den Kontrast der Stimmen. Rundles nahbare Vocals schenken der Musik Intimität und ein griffiges Skelett, an dem Bryan Funcks Gekrächze wie ein Dämon nagt. Mit schwerer Eleganz schleppt sich der Song durch 24-saitige Brandungswellen und treibt schließlich Richtung Horizont davon. Es ist eine gleichzeitig gewaltige wie unbeschreiblich schöne Eröffnung, als hätte man einen alten Shoegaze-Klassiker einmal über den Grund der Tiefsee gezogen. Die darauffolgenden, nur halb so langen Tracks drängeln etwas ungeduldiger zum Punkt. Im Mid-Tempo-Brecher "Monolith" tritt Thou-Gitarrist KC Stafford ans Mikro, um über knochenharten Riffs die verlorenen Seelen Seattles zu würdigen. In "Out of existence" und "Ancestral recall" reiben die Gegensätze besonders scharfkantig aneinander. Die Gitarren streicheln sich zärtlich und brettern brachial, während die Zauberin den von ihr beschworenen Geist zu besänftigen versucht. "I'm not of this world", keift Funck in letztgenanntem Stück und man hegt zu keiner Sekunde Zweifel an diesem Bekenntnis.

In der zweiten Hälfte nimmt sich das Album wieder etwas mehr Zeit. "Magickal cost" schickt verhallte Zupfer durch den Äther und verharrt lange in seiner Schwebe, bis er mit der Wucht der gesamten Band und allen drei Sänger*innen gleichzeitig ausbricht. Das geheimnisvolle "Into being" verschafft sich in seinem Krach sogar ausreichend Luft für ein paar überraschend breitbeinige Hardrock-Soli. So großartig die Platte bis hierhin bereits ist, erreicht der Closer "The valley" ein noch höheres Niveau. Ein karger Rhythmus und eine einsame Violine heben eine zerklüftete Ödnis aus der Erde, die sich so plastisch und ursprünglich anfühlt, wie Musik überhaupt sein kann. "Just another fucked up thing I cannot save", klagt Rundle leidvoll und erfährt nach sieben Minuten eine aus allen Poren strömende Katharsis, die mit voller Intensität auch am anderen Ende der Leitung ankommt. Von einem der besten Songs des Jahres abgeschlossen, hallt "May our chambers be full" noch lange nach. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes "haunting", wie Rundle und Thou nachtschwarzen akustischen Terror erzeugen und ihn mit denselben Pinselschwüngen wieder austreiben können. Die Veröffentlichung genau einen Tag vor Halloween erscheint so unheimlich passend, dass man sich kaum traut, den Namen der Platte dreimal laut vorm Spiegel auszusprechen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Killing floor
  • Monolith
  • The valley

Tracklist

  1. Killing floor
  2. Monolith
  3. Out of existence
  4. Ancestral recall
  5. Magickal cost
  6. Into being
  7. The valley
Gesamtspielzeit: 36:15 min

Im Forum kommentieren

Mr Oh so

2022-01-18 21:06:23

Gollum. Gollum. Gollum.

The MACHINA of God

2022-01-18 20:37:47

außer vielleicht, dass die Qualität des Gänsehaut-Openers nicht wieder erreicht wird.

Jepp. Der ist göttlich.

boneless

2022-01-18 18:45:12

Alter, dieser Gollum-Vergleich nervt. Und wenn jemand nicht dazugehört, dann ist es Emma, die ja nur als Kollabo-Partner dient und kein Mitglied von Thou ist (aber das sollte klar sein). Die Vocals harmonieren perfekt auf diesem Album, an dem man wenig aussetzen kann, außer vielleicht, dass die Qualität des Gänsehaut-Openers nicht wieder erreicht wird.

Mann 50 Wampe

2022-01-18 18:24:29

The Valley erinnert aber deutlich mehr als alle anderen Songs an Ruth Rundle Solo Scheiben. Aber, toller Song, ohne Frage.

Mr Oh so

2022-01-18 18:09:16

Für mich bleibt das ein zweischneidiges Schwert. Ich empfinde es wie weiter vorne schonmal beschrieben - da schleicht ständig ein Gollum um Emma rum. Wie jemand, der ständig seinen Senf dazugeben muss, obwohl er nicht dazugehört. Ich frage mich, warum sie die Songs nicht etwas interessanter arrangiert haben, mit mehr Dynamik, mehr Abwechslung.

Und tatsächlich haben sie es einmal perfekt hingekriegt - beim abschließenden The Valley. Ein fantastischer Song, bei der der Gollum eben erst später dazukommt und so eine großartige Klimax erzeugt. Warum nicht immer so?

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