Botanist - Photosynthesis

The Flenser
VÖ: 30.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Sunbreather

Eine kurze, ausdrücklich nicht auf Vollständigkeit pochende Auswahl an Motiven und Leitfragen, die in der jüngeren Geschichte der Rock- und Populärmusik in Form von Konzeptalben behandelt worden sind: die Vierelementelehre, interstellare Zukunftssklaverei, das schwierige Verhältnis zwischen Herzschmerz und der Roland-TR-808-Drummachine, die Abenteuer während eines durch Rattengift verursachten, einwöchigen Komas und ein kaputter Fernseher. Der jüngste Eintrag in diese illustre Liste alltäglicher bis weniger alltäglicher Observationen: die Photosynthese.

Dabei handelt es sich nicht um die erste thematisch wie künstlerisch stringente Auseinandersetzung mit Teilbereichen der Botanik, die Mastermind Otrebor in ausdrücklich unakademischer Ausführung veröffentlicht. Für seine Band Botanist war die farbenprächtige und facettenreiche Flora seit Beginn des Projekts die vorderste Inspirationsquelle. Durch die Augen eines leidenschaftlichen Botanikers, der die Zerstörung der Natur durch den Menschen betrachtet und dadurch den Verstand verliert, vertont "Photosynthesis" das Prinzip der "Verdant Alveolus Diaspora", nach dem die Wälder als individuelle Teile eines komplexen Lungensystems erachtet werden, das das Leben auf unserem Planeten erst ermöglicht. Puh!

So nischig und avantgardistisch das Konzept auf Anhieb erscheinen mag, eine ausgesprochene Naturverbundenheit ist in Metal-Kreisen nichts Neues. Schon Black-Metal-Veteranen wie Ulver und Darkthrone wussten um die geheimnisvolle und bedrohliche Energie ihrer norwegischen Wälder und unterstrichen diesen Kontext in Lyrik und Artwork. Auch heute pflegen prominente Vertreter dieser primitivsten und atavistischsten Spielart des Metal das Erbe der nordischen Urväter, wie etwa die Autarkie aspirierenden Waldbewohner von Wolves In The Throne Room.

Diesen Einflüssen Rechenschaft tragend, pflügen Botanist mit dem frühen Highlight "Water" direkt einmal den Boden um und geben damit die Marschrichtung für die folgende Biologiestunde vor. Eine Leichtigkeit und Ruhe versprühende, leise fließende Melodie mündet in einen reißenden Fluss aus Blastbeats und Tremolo-Picking, über dem engelsgleich schwebend unheilvoll lamentierende Choralgesänge das bittere Zerwürfnis zwischen Mensch und Natur betrauern. Das melodiöse Zentrum dieser Kompositionen bildet ein elektrisch verstärktes Hackbrett, das überraschend spielerisch die vielseitigen Kompetenzen der elektrischen Gitarre übernimmt. Dabei stehen zwei emotionale Facetten im Vordergrund, die im faszinierenden Kontrast zum Grollen und Tosen der Musik stehen: die Schönheit des ganzen Wahnsinns und, gänzlich unbeeindruckt vom zerstörerischen Zerwürfnis drumherum, die Hoffnung.

So geht vom zum Himmel schreienden "Chlorophyll" eine berstende Anmut und Zuversicht aus, die wie vom tobenden Wind getrieben Zuflucht im Auge des Sturms findet. Der melodische Grundtenor macht nur selten Platz für ausschließlich gewaltsame Attacken, so wie das Barbarische, Destruktive hinter jeder harmonisch anmutenden Ruhepause lauert. Auf diese Weise findet die thematisch zentrale Reziprozität zwischen Mensch und Natur, die Abholzung und die Flutwellen, das Ozonloch und die schmelzenden Polkappen, stets Einzug in die Dynamik der Kompositionen. Wie Du mir, so ich dir, als Endgegner.

Natürlich ist das viel Stoff zum Draufherumkauen und mit seiner beinahe notwendigerweise klaren politischen Positionierung ein Statement, das so manche Hörer von der eigentlichen musikalischen Kompetenz des Ganzen ablenken könnte. Umso erfreulicher also, dass diese vierzig Minuten grandios produzierten, hochspannenden Black Metals auch gänzlich losgelöst vom alles umspannenden Konzept bestens funktioniert. Zum Beispiel beim nächsten Waldspaziergang. Aber bitte auf den gekennzeichneten Wegen bleiben!

(Lars-Thorge Oje)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Water
  • Chlorophyll
  • Oxygen

Tracklist

  1. Light
  2. Water
  3. Chlorophyll
  4. Dehydration
  5. Bacteria
  6. Stroma
  7. Palisade
  8. Oxygen
Gesamtspielzeit: 37:29 min

Im Forum kommentieren

MasterOfDisaster69

2020-11-13 13:18:35

Puh, was für eine Rezension!
Fuer einen Neuzugang, Respekt!

Wuerde mich mal interessieren, wie lange man so an einer Rezension schreibt, Lars?

Zu der Platte kann ich noch nicht viel sagen, vielleicht nach dem nächsten Waldspaziergang...

Danke.

Autotomate

2020-11-06 21:57:18

"VI: Flora" fand ich ganz gut, aber das ist nun auch schon sechs Jahre alt. Dass die Band (die ja tatsächlich als musizierender Wald auf der Bühne steht) hier unvermutet besprochen wird, könnte ich zum Anlass nehmen, den Faden mal wieder aufzunehmen.

Armin

2020-11-04 21:15:24- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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