Keaton Henson - Monument
PIAS / Rough TradeVÖ: 23.10.2020
Alle Achtung
Wer erinnert sich noch dran, wie er früher durch die CD-Abteilung irgendeines Multimedia-Marktes gelatscht ist und dort das Kribbeln verspürt hat, sobald man ein Album mit einem "Parental advisory"-Aufkleber in den Händen hielt? Verboten fühlte sich das an, als würden darauf Wahrheiten ausgesprochen werden, die man zumindest noch nicht wissen dürfte. Alles Quatsch, klar. Und doch wünscht man sich bei so mancher musikalischen Neuerscheinung einen ebensolchen Hinweis, der weniger etwas mit möglichen Flüchen und Schimpfwörtern zu tun, sondern auf die etwa niederschmetternde Intensität eines Werkes aufmerksam macht. Gibt es leider nicht. Daher an dieser Stelle der Hinweis an all jene, die sich Keaton Hensons neues Album "Monument" anhören wollen: Achtung! Es wird sehr traurig!
Nachdem diese Warnung nun ausgesprochen ist, muss unbedingt festgestellt werden, dass sich jeder Durchgang von "Monument" lohnt. Und trotz aller Zerbrechlichkeit, aller Melancholie, aller Tristesse berührt der hauchzarte Gesang des Londoners hier noch mehr als bisher – oder vielleicht gerade deswegen? Echte Trauerarbeit leisten die Songs jedenfalls, die sich mit dem Verlust geliebter Menschen und dem anschließenden Weitermachen beschäftigen. Henson, der seinen Vater nach langer und schwerer Krankheit verloren hat, weiß nicht nur ein Lied davon zu singen, sondern gleich elf. Das passt perfekt zum langsam eintretenden kalten und grauen Wetter, was es gleichzeitig so schön wie verzwickt macht.
Wenn nämlich im Opener "Parade" die Zeile "I'll cry for help when I need it, thanks" ausgesprochen wird, glaubt man das nur so halb und rollt sich in der einsamen Wohnung lieber noch etwas enger in die Bettdecke ein. Kein Album für schwache Nerven ist das, auch wenn ein Stück wie "Ontario" mit seinem sanften Rhythmus so etwas wie Poppigkeit vorzugaukeln versucht und "While I can" optimistisch verspricht, sich selbst noch ein paar Träume zu verwirklichen, bevor es nicht mehr geht und am Ende sogar eine kleine Bläsersektion die neugefundene Motivation unterstreicht. Die eigene Sterblichkeit ist dann doch allgegenwärtig: "I wanna laugh with you / I wanna live with you / Until we die."
In seiner oft erdrückenden Trostlosigkeit findet sich auf "Monument" jedoch auch eine seltsame Schönheit. Ist es der Mut zur Schwäche? Nein. Es ist die Verbundenheit, die in düsteren Augenblicken heilender wirkt als jede Medizin. "Don't wanna talk about it / The ceiling moves before my aching eyes / I watch the phone sit still / Sick of waiting for bad news / Am I waiting to lose you?", erzählt "Bed" in schonungsloser Ehrlichkeit vom Warten auf den schlimmsten Moment und geht nicht durch besonders poetische Worte so unter die Haut, sondern wegen seiner Nahbarkeit. Noch fragiler wird es in der Piano-Ballade "Thesis", in der Henson teilweise kaum zu verstehen ist und von dem doch jedes einzelne Wort ankommt. Dass Zusammenhang nicht immer wichtig ist, beweist schließlich der Beginn des Abschlusstracks "Bygones", der mit einer ultrakurzen Tonaufnahme einer Frau beginnt, die nur schnell versichert: "That's okay / We're there now." Am Ende liegt im Verlust auch manchmal eine Form von Freiheit, in jeder Träne ein Schritt nach vorne. Und in den kleinsten Worten die größte Bedeutung.
Du bist traurig? Du bist nicht allein! Bitte such Dir Hilfe. Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden am Tag für Dich da unter den Telefonnummern 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123. Mehr Infos findest Du auch auf der Homepage: https://www.telefonseelsorge.de
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ontario
- Thesis
- Bygones
Tracklist
- Ambulance
- Self portrait
- Ontario
- Career day
- Prayer
- While I can
- Bed
- The grand old reason
- Husk
- Thesis
- Bygones
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BVBe
2021-01-02 13:31:10
Berührend. Zerbrechlich. Nackt. - Ist es Keatons verstorbener Vater, der ihn am Ende von "Prayer" beim Namen ruft? - Das erinnert mich in seiner Intensität an Peter Brodericks Requiem für einen ertrunkenen Freund "Asleep". Auch wegen der eingestreuten Original- Aufnahmen von Stimmen (Kinderaufnahmen aus seiner Familie?) hat die Musik etwas sehr Nahes, Persönliches.
Das Album arbeitet echt an mir ...
BVBe
2020-10-30 10:05:17
Wobei ich mit "sympathisch" nicht meine, dass er Panikattacken hat und deswegen Probleme, öffentlich aufzutreten. Ist ja für einen Künstler ein Fiasko. Aber es macht ihn menschlich. Kann ja nicht jeder eine Rampensau sein, auch wenn er ein guter Musiker ist.
BVBe
2020-10-30 10:00:32
Wikipedia: "Henson begleitet seinen Gesang üblicherweise mit einer Gitarre. Er leidet unter Lampenfieber, weshalb er selten vor Publikum auftritt."
Sehr sympathisch.
Höre gerade rein. Das ist schon sehr warmherzige Musik, geht mir nahe.
Armin
2020-10-21 21:36:16- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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