Clipping. - Visions of bodies being burned

Sub Pop / Cargo
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Daveed Diggs und die Kammer des Schreckens

Neues Jahr, neues Album von Clipping., das zudem wie schon der Vorgänger "There existed an addiction to blood" von 2019 kurz vor Halloween erscheint – und noch dazu einen Song namens "'96 Neve Campbell" in der Tracklist vorzuweisen hat. Fans des Slasher-Genres werden längst wissen, das die kanadische Schauspielerin in jenem Jahr nicht nur in dem trashigen Hexen-Film "The craft" mitwirkte, sondern auch im ersten Teil der "Scream"-Reihe. Da packt sogar der Promozettel-Schreiber sein ganzes nerdiges Hollywood-Wissen aus und zitiert glatt den von Jamie Kennedy gespielten Charakter Randy aus dem zweiten Teil, der sich in einer Szene über die festgelegten Regeln von Sequels auslässt. Mehr Leichen. Mehr Blut und Innereien. Und am wichtigsten: Geh niemals davon aus, dass der Killer wirklich tot ist. Clipping., selbst eingefleischte Horror-Aficionados, wissen all das natürlich. So ganz regelkonform ist "Visions of bodies being burned", der zweite Teil ihrer Grusel-Reihe, trotzdem nicht. Aber von Daveed Diggs & Co. erwartet man nun auch nicht unbedingt, dass sie durch ihren Gehorsam auffallen.

"Die Kunst von Clipping. ist nie einfach nur Musik, nie einfach nur HipHop, nie einfach nur ein paar Beats mit ein paar Reimen zusammengeklatscht. Immer geht es auch um einen Mindfuck, um eine Geschichte, um Emotionen, je aufgewühlter, desto besser", stand genau an dieser Stelle in der Rezension zu "There existed an addiction to blood", "Visions of bodies being burned" scheint das noch etwas mehr zu verinnerlichen. Diggs, der mittlerweile auch als Schauspieler im überaus erfolgreichen Musical "Hamilton" oder in der Endzeit-Serie "Snowpiercer" an der Seite von Jennifer Connelly zeigen durfte, dass er das Hollywood-Hochglanz-Game beherrscht, mag's in der Musik gern dreckig. Lärmend, dröhnend. Wohlgefallen kann jeder, bei Clipping. muss man schon auch wollen, was man serviert bekommt. Die Melodie von "Make them dead" etwa besteht zum Großteil aus Störgeräuschen, die gerade bei Kopfhörern durchaus in den Ohren wehtun, wenn der Lautstärke-Regler zu weit aufgedreht wird. Genuss ist etwas anderes, Faszination trifft es eher, Diggs' mantraartiger Sprechgesang ist einnehmend wie eh und je, irgendwie hofft man doch stets, dass bald die Erlösung kommt. Und wartet vergeblich.

Vielleicht ist es auch falsch, von einem zweiten Teil auszugehen: Clipping. selbst bezeichnen die Songs auf "Visions of bodies being burned" als andere Hälfte des Vorgängers – man habe einfach zu viele Stücke aufgenommen. Vor diesem Hintergrund nimmt das aktuelle Album entsprechend eine neue Wirkung an, wie eine Art Ergänzung. Als wären sie nie weggewesen, zieht "Intro" direkt zurück an den Ort des Geschehens, es rasseln Ketten, die Luft lädt sich mit Strom auf, ein Donnerschlag, zwei, drei, vier, immer mehr, immer lauter, immer schneller, so wie auch Diggs' Rap hektischer wird, gejagter, aufgeregter. Ende. Der Übergang zu "Say the name" erfolgt nahtlos, es ist der möglicherweise offensichtlichste Hit des Albums, wenngleich man Clipping. nie wirklich an der Spitze irgendwelcher albernen Charts erwarten würde. Das bereits erwähnte "'96 Neve Campbell" mit der Unterstützung der kalifornischen Zwillinge von Cam & China rollt ungleich klassischer los, die Beats klingen mehr nach dem Anfang der Nullerjahre, während die textlichen Reminiszenzen zum Beispiel an den berüchtigten "Ghostface"-Killer aus "Scream" etwas weiter in die Vergangenheit gehen. Außer Frage, dass gerade die beiden Damen die perfekten "final girls" jedes Film-Franchises wären.

Im weiteren Verlauf spielen Clipping. noch mehr mit typischen Ängsten, die natürlich stets über jeden billigen Leinwand-Streifen hinausgehen. Ein tiefliegendes Misstrauen gegenüber jeglichen Autoritäten liegt dem Album zugrunde – dass dieses schon längst fertig aufgenommen war, als in diesem Frühjahr und Sommer in den ganzen Vereinigten Staaten gegen Polizeibrutalität und Unrecht demonstriert wurde, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Diggs spinnt daraus seine eigenen Geschichten, voller Wahn und Paranoia, wie etwa in der "Scarface"-Hommage von "Check the lock", das sich voller Panik, voller Skepsis immer und immer wieder über die eigene Schulter schaut und dann doch ins Elend rennt. In eine Kammer des Schreckens steckt "Eaten alive" seine Zuhörer, während wie im Blutrausch ein Horror-Szenario nach dem anderen aufgezählt wird. "Body for the pile" schickt noch den verrückten Totengräber Sickness rein, der ausgerechnet seinen Wecker dabei hat und ihn zum Klingeln schön nah ans Ort hält. Am größten wird das Grauen aber zum Schluss, wenn "Secret piece" mit seinen Naturgeräuschen in die Irre führt und für einen Moment den Anschein von Sicherheit macht. Wer das wirklich glaubt, hat wohl nicht richtig zugehört. Der schlimmste Moviespoiler bestätigt, was Fans der Flaming Lips schon lange wissen: Jeder Mensch stirbt am Ende.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Say the name
  • '96 Neve Campbell (feat. Cam & China)
  • Check the lock
  • Body for the pile (with Sickness)

Tracklist

  1. Intro
  2. Say the name
  3. Wytchboard (Interlude)
  4. '96 Neve Campbell (feat. Cam & China)
  5. Something underneath
  6. Make them dead
  7. She bad
  8. Invocation (Interlude) (with Greg Stuart)
  9. Pain everyday (with Michael Esposito)
  10. Check the lock
  11. Looking like meat (feat. Ho99o9)
  12. Drove (Interlude)
  13. Eaten alive (with Jeff Parker & Ted Byrnes)
  14. Body for the pile (with Sickness)
  15. Enlacing
  16. Secret piece
Gesamtspielzeit: 52:50 min

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boneless

2023-09-14 21:13:50

Enlacing heute in Dauerschleife. Was für ein Song.

You ain't so special when everything glows

boneless

2023-09-14 17:48:00

Och, der Stimmung tun wenig Leute ja keinen Abbruch, so lange die gut drauf sind. Könnte mir aber vorstellen, dass schon in Hamburg deutlich mehr los ist.

Der Untergeher

2023-09-14 14:03:09

Das schraubt meine Vorfreude nochmal ein bisschen nach oben! Hoffentlich taucht Hamburg auch auf.. In Berlin ist die Stimmung bestimmt besser. Freu mich aber, dass sie nicht nur da Halt machen!

boneless

2023-09-14 12:44:34

Phänomenal. Gestern ihr erster Gig in Deutschland seit 2016 und es war genau so geil wie man sich das erhofft hatte. Drückender Sound, Noisewände galore und ein Daveed Diggs in Bestform. Was dieser Typ in kurzer Zeit an Wörter runterrattert, ist schlicht unglaublich. Was für ein Rapper! Die Setlist war nahezu perfekt und hatte im Grunde nur Hits zu bieten, es fehlte lediglich Air 'Em Out und Work Work, dann wäre ich zu 100% zufrieden gewesen. Aber auch so ein nahezu perfekter Abend.

Wenn ich mich recht entsinne, sah die Setlist so aus, eventuell fehlen 1-2 Stücke:

Blood of the Fang
La mala ordina
Pain Everyday
Taking Off
Say the Name
Wriggle
Chain
Check the Lock
Shooter
Body & Blood
The Show
Enlacing
Story
Story 2

Nothing Is Safe
A Better Place

Der Untergeher

2023-08-02 17:10:50

Uii, Hamburg! Freu mich. Karten sind gekauft.

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