Armored Saint - Punching the sky

Metal Blade / Sony
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Was wäre, wenn?

Gönnen wir uns doch mal einen Blick in die Glaskugel. Und fragen uns, wie wohl die Metal-Geschichte ein klein wenig anders hätte verlaufen können. Zum Beispiel, wenn John Bush 1983 dem Werben eines gewissen James Hetfield nachgegeben hätte. Jener James Hetfield war, nach diversen gefeierten Demos mit Metallica und sogar nach dem bahnbrechenden Debüt "Kill 'em all", dermaßen unzufrieden mit seinem Gesang, dass er am liebsten das Mikrofon aus der Hand gegeben und sich auf die Rolle als Gitarrist konzentriert hätte. Allein, Bush wollte seine Band Armored Saint, Freunde aus Grundschultagen, nicht im Stich lassen – in der Annahme, der Durchbruch stehe auch ihnen unmittelbar bevor. Der Rest, weiß die Floskel, ist Geschichte. Nehmen wir aber weiterhin einmal an, Armored Saint wären zu jener Zeit nicht dem Lockruf eines Labels erlegen, das bis dato keinerlei Erfahrung mit Metalbands hatte und entsprechend hilflos agierte. Mit dem traurigen Höhepunkt der LP "Delirious nomad" von 1985, die man bis heute immer wieder fantastisch hören kann – nur leider nicht ansehen, ist das Cover doch geradezu grotesk hässlich. Und nehmen wir schlussendlich einmal an, Gitarrist Dave Prichard wäre 1990 nicht vom Krebs aus dem Leben gerissen worden und die Band wäre nicht daran zerbrochen – was hätte aus Armored Saint werden können?

Nun wusste schon der große Fußball-Aphoristiker Lothar M.: "Wäre, wäre, Fahrradkette." Und so verschlug es Bush für ein paar Jahre – am Ende nur mäßig erfolgreich – zu Anthrax, während sein Kindheitsfreund Joey Vera nach wie vor eine der treibenden Kräfte bei Fates Warning ist. Doch sporadische und deshalb umso mehr umjubelte Festival-Auftritte halten Armored Saint seitdem am Leben, und bei seltenen Gelegenheiten darf es sogar ein Album sein. Dass also dezente Vorfreude auf "Punching the sky", dem ersten Studioalbum seit 2015, maßlos untertrieben ist, dürfte klar sein. Und nach wenigen Sekunden ist alles gut. Langsam setzt sich das Eröffnungsriff zu "Standing on the shoulders of giants" zusammen, und wer zu diesem Wahnsinns-Refrain nicht umgehend glückselig die Fäuste reckt, ist höchstens noch in ungläubigem Staunen gefangen.

Oder spart sich die Energie für das folgende "End of the attention span" auf. Was. Für. Ein. Knaller. Na klar: Jeglicher Trend, der in den letzten 30 Jahren über die Metal-Szene gefegt ist, glänzt durch Abwesenheit. Auch wenn sich viele Bands der damals so genannten US-Metal-Szene derzeit mehr oder weniger erfolglos an einem Comeback versuchen – wie "old school" zu klingen hat, zeigen die Kalifornier hier ein ums andere Mal mit der guten alten Rezeptur aus treibenden Riffs, starken Soli und vor allem Refrains zum sofortigen Mitsingen. Und selbst, wenn wie in "Bubble" einmal ein paar kleine elektronische Spielchen auftauchen, werden diese dezent in den Hintergrund gedrängt beziehungsweise von einem Solo der Gitarristen Phil Sandoval und Jeff Duncan hinfortgefiedelt.

Ganz klar, Innovationspreise kann und will "Punching the sky" nicht gewinnen. Vielleicht auch hat man es an der ein oder anderen Stelle mit der Eingängigkeit etwas zu gut gemeint, wie in "Lone wolf". Und ganz sicher dürften manche Vertreter der jungen Metal-Generation, die der Metalcore-Hüpfer quasi, sich nur deshalb ein gelangweiltes Gähnen verkneifen, weil sie halt doch aus Respekt vor den Verdiensten von Armored Saint um das Genre haben. Die älteren jedoch, diejenigen, die mit der Aufbruchstimmung, der unbändigen Kreativität, ja auch dem latenten Chaos der Metal-Szene der Achtziger aufwuchsen, werden mit einer Reise in die Vergangenheit belohnt. Und zwar nicht, weil die Platte in Selbstreferenz erstarrt, sondern weil Armored Saint nach all den Jahren so zeitlos wie nie klingen. Natürlich hätte die Geschichte der Band im Allgemeinen und ihres Frontmanns im Speziellen anders verlaufen können. Doch angesichts dieser zutiefst ehrlichen und im positiven Sinne altmodischen Platte ist es gut so, wie es ist.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Standing on the shoulders of giants
  • End of the attention span
  • Missile to gun
  • Unfair

Tracklist

  1. Standing on the shoulders of giants
  2. End of the attention span
  3. Bubble
  4. My jurisdiction
  5. Do wrong to none
  6. Lone wolf
  7. Missile to gun
  8. Fly in the ointment
  9. Bark, no bite
  10. Unfair
  11. Never you fret
Gesamtspielzeit: 53:38 min

Im Forum kommentieren

fuzzmyass

2021-12-11 17:11:54

Wow, was für ein fantastisches Album.. tolle Produkion, super Sound und John Bush ist immer noch unter den großartigsten Sängern im Metal ever...
Habe jetzt nach meiner Anthrax Phase endlich mal reingehört und bin begeistert... schöne runde 8/10... hätte mehr Aufmerksamkeit verdient...

Mr Oh so

2020-10-23 22:08:59

"End of the attention span" groovt wie Hölle. Und ja, die Rezi ist klasse.

Superhelge

2020-10-23 20:18:23

So, Bellmanns Kritik ist jetzt schon Review des Jahres für mich. Dem ist absolut NICHTS hinzuzufügen.

Höchstens ein Pünktchen mehr hätte es sein dürfen. Nicht wegen des Legendenstatus, sondern weils einfach so geil ist.

NUFF SAID.

Armin

2020-10-21 21:35:06- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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