Culk - Zerstreuen über Euch

Siluh / Cargo
VÖ: 09.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ein Punkt wird sehr fixiert

Monotonie. Mantra. Melancholie. Mehr, bitte! "Wir geben, wir vergeben / Wir machen, wir vermachen / Wir streben, wir bestreben / Wir greifen, wir begreifen / Wir stören, wir verstören / Wir klagen, wir verklagen / Euch." Kaum hat "Zerstreuen über Euch" begonnen, jenes zweite Album der Wiener Formation Culk rund um Sängerin Sophie Löw, ist man auch schon drin. Zwischen Traum und Trance startet "Leuchten und Erleuchten" und lässt den Hörer fast zweieinhalb Minuten im Irrglauben, dass er aus dieser Nummer unbeschadet wieder rauskommt. Dann: Explosion, Feuerwerk, Einsturz. Löw in ihrem Element. Gänsehaut.

Der Titel kommt nicht von ungefähr: "Zerstreuen über Euch" ist kein Gute-Laune-Album, keine Musik für nebenher oder zwischendurch und stellenweise wirklich keine einfache Kost, obgleich die Mischung aus Dark Wave, Shoegaze und Post-Punk dem Gehörgang durchaus zu schmeicheln und gefallen weiß. Aber Culk sind auf einer Mission: Löw und ihre drei männlichen Kollegen haben ihr Ziel vor Augen und machen unmissverständlich klar, auf wen sie es abgesehen haben – und rücken dem altbackenen sowie strikten Patriarchat mit ausgefahrenen Krallen auf die Pelle.

"Nacht" erinnert an ein Gedanken-Experiment, das die Influencerin Isabell Gerstenberger im September 2020 auf ihrem Instagram-Profil veröffentlichte: Was würden Frauen und Männer tun, wenn es das jeweils andere Geschlecht für 24 Stunden nicht gäbe? Während die Herren ausgiebig Shisha rauchen oder sich betrinken wollten, lautete die erschreckende Antwort vieler Frauen, dass sie nachts unbehelligt spazieren gehen wollten. "Straßen und Schuhe wechseln / So tun, als würde ich mit jemandem sprechen / Strenger Blick und schneller Gang / Schau mich nicht an / Alles, was ich Dir gerade zeigen kann / Ist meine böse Miene zum bösen Spiel", fasst Löw nur ein paar der Strategien zusammen, die wohl jede Frau mittlerweile verinnerlicht hat, sobald sie im Dunkeln unterwegs ist.

"Jahre später" hingegen legt den Finger auf die teilweise tiefliegenden Wunden, die solche traumatischen Schäden verursachen. Wenn die Schuld beim Opfer gesucht wird, aber Erklärungen und Argumente für Täter gefunden werden, wenn hinterfragt wird, ob die Frau zu freizügig angezogen gewesen sein könnte und nicht der Umstand, dass ein kurzer Rock kein Freifahrtschein für sexuelle Übergriffe ist – das verletzt oft fast mehr als die Tat selbst. Bei Culk geht diese Dringlichkeit tief unter die Haut, das Donnern findet im Unterbewusstsein statt und wühlt dort umso mehr auf, Löws klarer und doch starker Gesang erledigt den Rest.

"Einander verlieren heißt nicht immer / Verlieren", stellt das dröhnende "Deine Rahmung" schließlich völlig richtig und doch so herzzerreißend fest, während die Doppelspitze aus "Ruinen" und "Bronzeguss" am Ende das Licht ausmacht: Rasiermesserscharf schneidet die Gitarre hier ins Fleisch, Löw beißt sich einmal mehr fest und lässt so schnell nicht mehr los. Zum Glück: Die Geschichten, die sie auf "Zerstreuen über Euch" erzählt, handeln nicht von anderen, sondern von uns, das "Wir" wiegt immer stärker als das "Ich". "Sag mir nicht, wer ich bin und ich bleib bei Dir", bittet sie in "Bronzeguss" und kennt doch die traurige Realität: Die Nacht, in der wir allein, ohne Angst, ohne Anspannung spazieren gehen können, liegt noch in weiter Ferne.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Nacht
  • Ruinen
  • Bronzeguss

Tracklist

  1. Leuchten und Erleuchten
  2. Nacht
  3. Jahre später
  4. Dichterin
  5. Helle Kammer
  6. Starrsinn und Wahnsinn
  7. Deine Rahmung
  8. Ruinen
  9. Bronzeguss
Gesamtspielzeit: 34:19 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2023-08-25 11:52:43

Thread zum neuen Album

Affengitarre

2023-07-26 13:24:52

Sehr gut!

nörtz

2023-07-26 13:23:08

Sie sind derzeit im Studio und nehmen auf. :D

Affengitarre

2023-07-26 13:20:02

Ist schon was zum Nachfolger bekannt?

saihttam

2022-09-01 11:26:53

Das Konzert hat mir gefallen. Hab zwar ein bisschen gebraucht, bis ich drin war, aber dann gabs schon einige intensive Momente. Das komplett abgedunkelte schon schön war dafür auch sehr passend.

Die Vorband Smile aus Köln ist übrigens auch zu empfehlen, falls man Post-Punk im Stile von Dry Cleaning mag. Haben sowohl auf großer Bühne bei Fontaines DC als auch jetzt im kleineren Rahmen viel Spaß gemacht.

Man sollte auch mal ins Soloalbum von Sophie Löw unter dem Namen Sophia Blenda reinhören. Minimalistischer und hauptsächlich getragen von einem unfassbar düsteren Piano, aber mindestens genauso intensiv wie der Hauptoutput der Band.

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